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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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registriert haben, einen weghuschenden Schatten, ein Gewicht auf der Brust, die Gegenwart eines fremden Wesens. Andere haben glühende Augen gesehen. Wenn es ganz dumm läuft, entstehen aus solchen Begegnungen dann diese haarsträubenden Geschichten über Raumschiffentfüh­rungen aus dem All. Oder der Glaube an Spuk und an Geister.«
    Na, so ganz weit weg von Geistern war die Sache ja nicht, dachte ich schaudernd. Ob Nachtmahr, Spuk oder Geist - was ich erfuhr, war beängstigend. So oder so. Papa wirkte jedoch nicht ansatzweise eingeschüchtert. War es für ihn etwa in erster Linie nichts anderes als ein faszinierender Forschungsgegenstand?
    »Den Befallenen fehlen die Träume, Hoffnungen und schönen Gefühle. Nach einer gewissen Phase des Befalls können sie nicht mehr träumen und erholen sich nachts kaum mehr, weder seelisch noch körperlich. Der Mahr sucht sich dann ein neues Opfer, denn seine Nahrungsquelle ist erschöpft. Die Wissenschaft nennt die Be­fallenen »Non-dreamers«, also zu Deutsch Nichtträumer, und packt sie in die Schublade zu den Menschen, die aus anderen Gründen nicht träumen können. Einen Namen haben sie dafür, aber keine Heilung. Nur Tabletten. Ich versuche, ihnen zu helfen, ohne ihnen zu sagen, was mit ihnen geschehen ist. Es gibt nicht viele Nacht­mahre, die mir dabei in die Quere kommen könnten, und hier, auf dem Land...«
    Papa brach ab, als habe er zu viel erzählt. Hier auf dem Land, hat­te er gedacht, gäbe es gar keine? Oder hatte es etwas mit seiner du­biosen Arbeit neben seiner Tätigkeit als Psychiater zu tun, die Colin erwähnt hatte? Colin. Ich kam nicht drum herum. Ich fürchtete mich vor der Antwort wie ein Kind vor der Dunkelheit, doch ich musste wissen, was er für eine Rolle in diesem mysteriösen Kasperl­theater spielte. Warum hatte er Papa erkannt? War er auch ein Halb­blut? Jedenfalls war Colin kein Ding. Er war eindeutig ein Mensch. Kein Dämon in Lumpen, der in Bäumen lauerte und sich auf seine Opfer herabfallen ließ. Gerade wollte ich meinen Mut zusammen­nehmen und die alles entscheidende Frage stellen, als Papa mir das Bild aus den Händen zog, das Fenster schloss und mich unmissver­ständlich in Richtung Tür drehte.
    »Das ist genug, Elisa. Vergiss nicht - du musst damit leben, ohne es jemals einem anderen Menschen erzählen zu dürfen. Selbst wenn du ihn liebst. Du wirst irgendwann heiraten und dieser Mann wird niemals davon erfahren dürfen. Das ist nicht leicht. Das ist eine Bürde. Und du hast heute mehr als genug erfahren.«
    Zerknirscht gab ich mich geschlagen. Meine Fragen nach Colin konnte ich erst einmal ad acta legen. Papa hatte das Thema ziel­sicher umschifft. Er wollte nicht über ihn reden. Ihm wäre es am liebsten gewesen, Colin wäre sang- und klanglos aus unserem Da­sein verschwunden.
    Dabei spürte ich seine Gegenwart so deutlich, dass mir ständig kleine Stromstöße durch den Magen und das Herz fuhren. Er war nicht weit weg - vielleicht zwei oder drei Kilometer. Und ich fühlte, dass er dort war, in seinem Haus, mit seinen Katzen. Ob er auf der Bank unter dem Dachgiebel saß und in die Dunkelheit schaute?
    »Gute Nacht, Elisabeth«, riss mich Papas Stimme aus meinen Träumereien. »Du musst keine Angst haben. Sic trauen sich nicht in meine Nähe.« Abermals erschauerte ich. Ha. Du hast gut reden, dachte ich verstimmt. Ich soll keine Angst haben. Einfach so. Ich glaubte ihm nicht. Er musste das schließlich sagen. Doch es würde bedeuten, dass Colin keines von diesen Dingern war, denn er hatte sich in Papas Nähe gewagt. Und die Tatsache, dass ich in den ver­gangenen Wochen lebhaft geträumt hatte, beruhigte mich etwas. Ich war definitiv kein Non-dreamer.
    Ja, und möglicherweise hatte ich viel erfahren - doch das hieß noch lange nicht, dass es keine Rätsel mehr zu lösen gab und ich mich zufriedengeben würde. Das würde ich nicht.
    Oben in meinem Zimmer stellte ich den Wecker eine Stunde frü­her, denn zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keine Energie mehr für meinen Lernstoff. Papa und ich hatten uns friedlich Gute Nacht gesagt. Ihn zu berühren, hatte ich dennoch nicht gewagt.
    Nun packte mich die Einsamkeit mit ihrer vollen Macht.
    Mein Vater konnte meiner Mutter gefährlich werden. Paul würde nie wieder nach Hause kommen. Irgendwo da draußen schwirrten Wesen herum, die Menschen anzapften, um ihnen ihre Träume und Gefühle zu rauben. Und Colin durfte ich nicht mehr begegnen. Wa­rum nur?
    Colin wusste zu viel

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