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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ich hören.«
    Ich erschauerte auf meinem grünen Sofa und rieb mir die kalten Füße. Papa sprach ruhig und gefasst, doch er wirkte auf mich, als würde er das Grauen von damals noch heute auf seiner Haut spü­ren.
    Auch ich spürte es und schüttelte mich unwillkürlich. Mein Na­cken kribbelte, und obwohl ich wusste, dass hinter mir nur die glat­te Wand war, drehte ich mich kurz um.
    »Jetzt kam der Schmerz - ein Schmerz, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Grell, beißend und doch so schön und ziehend, dass ich glaubte, nachgeben zu müssen. Ich wusste, dass mein Blut floss und mir das Wertvollste in meinem Leben genommen werden sollte - meine Gedanken an euch, meine Gefühle für euch. Meine Traum­bilder von euch. Jene Träume, in die ich gerade abtauchen wollte, um neue Energien zu sammeln. Aber ich war versucht, sie zu ver­schenken. Obwohl ich dieses Wesen hasste, das da so kalt und schwer auf meinem Rücken hing. Doch es verlangte noch mehr. Es wollte, dass wir eins wurden, wollte mich zu seinesgleichen machen. Es wollte meine Träume und meinen Körper. Ich sollte mich ihm voll­ends ergeben. Es war nicht nur ein Raub. Es sollte eine Verwandlung werden. Das weiß ich heute. Damals ahnte ich es nur.«
    Verwandlung. Was für ein nettes Wort für das, wovon er sprach. Nämlich von der Bluttaufe und nichts anderem.
    »Zum Glück war mein Verstand stärker - nun, vielleicht war es nicht mein Verstand. Ich weiß nicht, was es war. Ich sah deine Mut­ter vor mir, meine schöne Frau mit ihrem kleinen Bauch, der sich langsam zu runden begann und in dem du geschlummert hast. Ich sah Paul mit seinen blauen Knopfaugen und ich wollte niemals auf eure Liebe verzichten. Ich dachte an dich, Elisabeth. An das ungebo­rene, unschuldige Kind. Mein Kind.«
    Ich musste schlucken. Es war kein Geheimnis, dass ich stets Papas Herzblatt gewesen war. Natürlich liebte er Paul und natürlich liebte Mama mich, ich hatte nie Zweifel daran gehabt. Aber Papa und mich verband mehr. Und wie ich nun erfuhr, war es offenbar von Anfang an so gewesen.
    »Diese Gedanken haben mir Kraft gegeben, mich loszureißen. Ich schlug mit meinen Armen nach hinten und das Wesen stieß ein Kreischen aus, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Vor meinen Augen verschwamm alles in einem grünen Wirbel, ich nahm die Gestalt nur schemenhaft wahr. Doch ich weiß, dass es eine Men­schengestalt in Lumpen war - eine Menschengestalt mit unwirklich glühenden Augen und merkwürdig fahler Haut, eher grau als schwarz. Mehr konnte ich in der Inbrunst meines Kampfes nicht ausmachen - schließlich trat und schlug ich das Wesen ununter­brochen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie stark es war. Kennst du diese Träume, in denen du versuchst, dich gegen jemanden zu ver­teidigen, doch deine Arme sind tonnenschwer und du kannst kei­nerlei Kraft aufbringen? Es geht einfach nicht? So fühlte ich mich. Doch ich wollte nicht aufgeben. Bei jedem neuen Schlag dachte ich an euch. Die Vorstellung, dass du als Halbwaise aufwachsen wür­dest, wenn dieses Wesen seinen Willen bekam, war unerträglich. >Du kriegst mich nicht!<, hab ich die Gestalt angeschrien und mit einem letzten Tritt schob ich sie vom Wagen herunter. Blitzschnell drehte ich den Zündschlüssel, der Motor sprang an und ich trat fest auf das Gaspedal. Der Wagen schleuderte, als ich anfuhr - und beim Blick in den Rückspiegel sah ich, warum. Das Wesen hatte sich von hinten ans Heck gekrallt und ließ sich mitziehen. Sein gieriger Blick bohrte sich fest in meinen Rücken. Es hatte solchen Hunger. Nun steuerte ich gezielt die Schlaglöcher an, bis die Federung zu zerrei­ßen drohte, und ließ den Wagen halsbrecherische Kurven fahren. Ich fuhr wie ein Besessener. Irgendwann merkte ich, dass der Wagen sich leichter handhaben ließ - und endlich traute ich mich, ein wei­teres Mal in den Rückspiegel zu schauen. Es war weg.«
    Papa machte eine Pause, drehte sich um und blickte durch das ge­schlossene Fenster nach draußen in die Dunkelheit. Ich legte die flache Hand auf meinen Nacken. Er kam mir auf einmal so bloß und empfindlich vor.
    »Ich habe das Schiff in letzter Minute erreicht - man war schon dabei, die Leinen zu lösen. Ich ging sofort auf meine Kabine und verriegelte die Tür. Was dann passiert ist - nun, das hast du ja selbst herausbekommen.«
    Papa rieb sich mit den Händen über sein Gesicht und atmete seufzend durch.
    »Weißt du, Elisa, wenn man einen starken Willen hat, kann man einiges

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