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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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in den Kreis und half auch Talomar über die Eisnadeln hinweg.
    Talomar spürte die Macht der Quelle sofort. Eine unsichtbare kalte Hand griff nach ihm, drang durch sein Fleisch, schloss sich um sein Herz. Ihm war, als verwandele sich sein Blut in flüssiges Eis. Seine Kehle schien zu zerplatzen.
    »Sie wittert das Gold deiner Mondsichel«, wisperte Gubyr. »Es verwirrt sie … Halte ihr stand und sieh nur auf mich, dann kann dir nichts geschehen!«
    Er wandte sich ab und näherte sich langsam dem Mittelpunkt des Kreises. Mit beiden Händen schützte er das Gesicht vor dem stiebenden Schnee.
    »Klaue des Winters! Hörst du mich?« Gubyrs Stimme konnte den Wind kaum durchdringen. »Du fürchtest mich, weil ich ein Mensch und ein Zauberer bin … einer von jenen, die dich unterworfen haben. Du harrst auf deine Befreiung und weißt, dass die Goldéi kommen.«
    Ein kräftiger Windstoß riss ihn von den Beinen. Doch Gubyr rappelte sich schnell auf, kämpfte sich weiter zur Kreismitte vor.
    Hinter ihm wurde Talomar von einem Husten geschüttelt. Sein Mund füllte sich mit Blut. Es gefror noch auf der Zunge. Er spie rote Eisbrocken; sie rissen seine Lippen in Fetzen. Panik erfasste ihn. Er wollte fliehen, fort von hier, fort von der Klaue des Winters, fort von Gubyr, der ihn nur benutzte, um vor der Quelle sicher zu sein … doch dann riss er sich zusammen und entsann sich des Amuletts um seinen Hals. Er presste die Hand gegen die Brust, spürte die Mondsichel unter der Kleidung. Wärme durchflutete ihn, ein inneres Feuer, das alle Kälte vertrieb. Zugleich hörte er ein Geräusch – ein Klirren neben seinem Ohr, ganz leise und hell. Talomar fuhr herum. Eine Gestalt huschte von ihm fort. Sie musste die ganze Zeit neben ihm gestanden haben; ein dürres Geschöpf, nicht größer als ein Kind, die Glieder aus zartem Glas: die Beine eisblau, der Leib mattrosa, der Kopf blaßgrün. Alles an dem Wesen wirkte zerbrechlich. Nun flitzte es über den Schnee und brachte sich in Sicherheit.
    »Hör mich an, Klaue des Winters«, schrie Gubyr, der endlich im Mittelpunkt angelangt war. »Ich komme nicht, um dich zu befreien, aber auch nicht, um dich zu verschließen. Ja, auch ich bin ein Nachkomme jenes Zauberers, der dich gefesselt hat … Sternengänger. Du hasst und fürchtest ihn. Aber ich bin nicht länger sein Knecht!«
    Er holte ein zweites Amulett hervor. Eine weitere Mondsichel, doch diese war nicht aus Gold, sondern aus Silber.
    Die Klaue BRÜLLLLTE auf. Risse zogen sich durch den Schnee; eine der Eisnadeln zersprang mit lautem Knall.
    »Mondschlund bietet dir Frieden. Er wird dich nicht auszehren wie Sternengänger. Er will nur einen Teil deiner Macht … für das Verlies. Für die Stadt aller Städte. Für die Zuflucht der Menschheit.« Gubyr hob das Amulett in die Höhe. »Du kennst das Metall der Knechtschaft. Zwinge mich nicht, es zu benutzen.«
    Talomar stockte der Atem. Aus dem tanzenden Schnee lösten sich feine Gestalten. Es waren fünf weitere Geister. Ihre Körper klirrten, als sie auf ihn zuhuschten. Dürre Finger griffen nach seinem Hals, und wieder kroch die Kälte in sein Fleisch.
    »Gubyr!« Talomars Stimme überschlug sich. »Sie umkreisen mich!«
    Der Candacarer hörte ihn nicht oder wollte ihn nicht hören. Mit erhobenen Händen stand er im Splitterkreis. Die Mondsichel in seinen Fingern glänzte. »Klaue des Winters, löse dich aus Sternengängers Bann! Diene Mondschlund! Denn ihm müssen wir alle dienen … Menschen und Quellen und Geister, und am Ende auch die Goldéi. Unterwerfe dich ihm!«
    Die Glaskinder waren nun ganz nah. Talomar spiegelte sich in ihren augenlosen Gesichtern. Voller Furcht riss er sich die goldene Mondsichel vom Hals. Wie einen Dolch hielt er das Amulett den Geistern entgegen.
    Die Glaskinder hielten inne, der Anblick des Metalls lähmte sie. Dann taumelten sie zurück, machten kehrt und rasten auf Gubyr zu, als hätte er ihren Zorn heraufbeschworen.
    »Gubyr!«
    Talomars Warnruf kam zu spät. Die Geister warfen sich auf den Candacarer, sprangen auf seinen Rücken, zerrten an seinem Kopf, an seiner Kleidung, umfassten mit klirrenden Fingern seine Brust. Verzweifelt versuchte Gubyr, sie abzuschütteln.
    »Diene Mondschlund«, schrie er. »Oder … vergehe …«
    Sie warfen ihn zu Boden. Die silberne Mondsichel drohte seiner Faust zu entgleiten. Doch Gubyr wälzte sich noch einmal zur Seite, und mit letzter Kraft rammte er das Amulett in den Boden. Wie eine Fontäne schoss der Schnee in

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