Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
Vom Netzwerk:
Kultstätte oder Versammlungsort gedient haben mochte. Am Himmel die Sonne, bleich und fern. In ihrem Licht schimmerten die Trümmer wie kostbare Schätze; Spuren von Gold und Silber glommen auf, dunkles Gestein funkelte wie blankes Eisen. Athyr’Tyran … eine Ruinenstadt, in der alles Leben erloschen war und die seit ihrem Niedergang kein Mensch mehr betreten hatte.
    Zwischen den Trümmern wanderten Schatten umher. Wenn sich eine Wolke vor die Sonne schob, verblassten sie, doch sobald sich die Strahlen aufhellten, krochen sie wieder über die Felsen … zu düster für das verhaltene Tageslicht, zu lebhaft für eine leblose Stadt. Ein Wispern begleitete das Schattenspiel; es glich dem Rauschen des Windes, wenn er über Blätter und Zweige strich. Doch es gab keine Bäume in Athyr’Tyran, und es war windstill an diesem Tag.
    Der Tanz der Schatten ging nicht mit rechten Dingen zu. Zauberei war im Spiel.
    »Meine Freunde«, flüsterte der Schattenspieler, der zwischen den Trümmern hockte und seine Scherenschnitte betrachtete. »Ihr seid ungeduldig, ich weiß … doch wartet bis zum Abend, wenn das Sonnenlicht schwindet. Dann seid ihr stark genug, um den Schrecken der Ruinen zu trotzen.«
    Seine Lippen kräuselten sich, und er warf das struppige Haar zurück. Dann hielt er die Figuren gegen das Sonnenlicht. Zwei kunstvolle Scherenschnitte: ein Falke mit prächtigen Schwingen und eine Schlange mit offenem Maul. Mit feinen, kaum sichtbaren Holzstäben bewegte er ihre Glieder, ließ den Kopf der Schlange herumschnellen und den Falken die Flügel spreizen. Zugleich verdichteten sich um ihn die Schatten. Sie flossen wie zähe Tinte um die Steinbrocken, formten sich zu neuen Figuren …
    »Ja, meine Freunde. Unsere Stunde naht. Schattenbruchs Brut hält Einzug auf Tyran. Die Wiege der Menschheit wird die Wiege der Schatten sein, wenn alles Licht schwindet.«
    Er verbarg die Scherenschnitte unter dem schmutzigen Rüschenhemd. Die Schatten lösten sich schlagartig auf, wie von Watte aufgesogen. Der Schattenspieler wandte sich um. Hinter ihm klaffte ein Spalt zwischen den Felsen. Dahinter führte ein gemauerter Gang schräg in die Tiefe; ein alter Keller oder Abwasserkanal. Von unten drang der flackernde Schein einer Öllampe herauf. Er wurde stetig heller. Jemand näherte sich.
    »Aldra! Wo seid Ihr, verflucht?« Ein Husten hallte durch den Gang. »Ihr seid wieder vorausgeeilt. Ich komme Euch kaum hinterher. Wie oft soll ich mich noch verlaufen?«
    Der Schattenspieler lachte auf. »Nicht meine Schuld, teurer Freund. Ihr lauscht zu eifrig den Stimmen aus der Dunkelheit. Sie führen Euch auf Abwege. Sie wollen Euch von mir trennen.« Er reichte dem Ankömmling die Hand und half ihm, durch den Spalt zu steigen. Es war ein älterer Troublinier in zerschlissenem Kaufmannsgewand, das rote Haar kurz und staubig, das Gesicht stoppelig und verschmutzt.
    Aelarian Trurac, Großmerkant von Troublinien, blinzelte in die Sonne. »Die Stimmen? Ihr meint Mondschlund, nicht wahr?« Er gab dem Schattenspieler die Öllampe. »War er es, der Cornbrunn von uns fortgelockt hat?«
    »Varyns Verlies ist unergründlich.« Der Schattenspieler wies auf das Amulett an Aelarians Hals; eine goldene Mondsichel. »Ja, ich glaube, dass er Cornbrunn vor unseren Augen verborgen hat. Auch mich wollte er von Eurer Seite locken. Mondschlund will Euch ganz für sich haben … er flüstert Euch Lügen zu, seit wir das Verlies betreten haben. Er schätzt es nicht, dass ich an Eurer Seite bin.«
    »Und warum? Weil Ihr ein Nachfahre der Gründer seid und eine ihrer Ketten tragt? Oder weil Ihr die Verliese besser kennt, als ein Mensch sie kennen sollte?« Aelarian ließ sich erschöpft auf einem Stein nieder. »Ich weiß nicht mehr, wem ich trauen kann. Mondschlunds Stimme begleitet mich seit Jahren. Er sprach oft im Traum zu mir und lehrte mich vieles über die Magie und die Sphäre. Seinem Ruf folgte ich, er führte mich nach Tula und nach Schattenbruch … zu Euch, Aldra.« Er streifte das Amulett vom Hals. »Als ich im Verlies seine Stimme vernahm und zusammenbrach, sagte ich zu Cornbrunn, er solle weitergehen und mich zurücklassen … ich war wie von Sinnen, redete wirr. Cornbrunn wandte sich von mir ab, nur kurz, und dann war er verschwunden, er und die Kieselfresser. Die Schatten verschluckten ihn.« Aelarian hielt kurz inne. »Waren es Eure Schatten oder die des Verlieses? Und warum sagte ich zu Cornbrunn, er solle mich allein lassen?«
    »Mondschlund

Weitere Kostenlose Bücher