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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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den Himmel, erstarrte zur Eissäule. Der Wind verstummte schlagartig. Die Glaskinder bäumten sich auf. Dann zerschmolzen sie, zerflossen zu Wasser, und dieses traf als ein funkelnder Schwall Gubyrs Gesicht.
    Der Candacarer stieß einen markerschütternden Schrei aus. Seine Augen verfärbten sich, das Gesicht wurde bleich, durchscheinend, und unter der Haut flossen die Farben wie Tinte um seinen Schädel, hellgrün und blau, purpurn und grau wie der Himmel …
    Talomar nahm allen Mut zusammen und schleppte sich zu Gubyr. Doch das Antlitz des Candacarers war längst zu Glas erstarrt; buntes Glas, dessen Farbe ständig wechselte. Nur die untere Gesichtshälfte bestand noch aus Fleisch. Die Lippen bebten.
    »Talomar … es ist … getan … ich habe die Klaue besiegt.« Ein Lächeln umspielte Gubyrs blassen Mund. »Und sie … mich! Das Miststück hat mich … überlistet …«
    Talomar zog seine Handschuhe aus und versuchte die Wangen des Candacarers zu wärmen. Doch sie waren so kalt, dass er die Finger erschrocken zurückzog.
    »Ich habe mich … zu sicher gefühlt«, murmelte Gubyr. »Ich dachte nicht … dass mich die Glaskinder angreifen würden. Aber dies war der Preis … ich habe Sternengänger die Klaue entrissen … die Goldéi können sie nicht mehr befreien. Imris … ist gerettet.« Seine Augen, gläsern und blau, ruhten auf Talomar. »Und du … muss fliehen. Fort … geh fort von hier … verlasse Aroc … berichte allen von Mondschlunds Gnade. Nur er … kann die Menschheit retten.«
    »Ich werde dich nicht zurücklassen«, sagte Talomar mit Nachdruck.
    »Rede keinen … Unsinn. Ich bin so gut wie tot … die Glaskinder haben Rache genommen. Geh, Talomar! Geh … und kämpfe um diese Frau … wenn du sie liebst … dann hol sie dir zurück … ehe die Welt untergeht!«
    Sein Mund wurde starr. Eine feine weiße Linie wanderte über das Gesicht, kroch von der Stirn an der Nasenwurzel herab, teilte den Mund; an ihren Rändern breitete sich ein Geflecht weiterer blasser Linien aus, wie Eisblumen auf einer Glasscheibe.
    Talomar wich zurück. Er wandte den Blick ab. Und doch hörte er, wie der Kopf seines Gefährten mit einem garstigen Klirren zersprang. Sein Herz pochte, und Tränen rannen ihm über die Wangen. Nun erst wurde ihm die Erbarmungslosigkeit der Quelle bewusst, und er verstand, warum Durta Slargin sie bezwungen hatte. Doch von diesem Tag an würde die Klaue des Winters Mondschlund dienen, und dieser würde die Menschen vor ihrem Zorn beschützen.
     
    Die Bathaquar-Sekte, eine Abspaltung der Tathril-Kirche, erzählte die Legende von Suuls Tod wie folgt:
    Einen Riesen namens Suul hat es nie gegeben. Suul war nichts weiter als eine Erfindung des Weltenwanderers, eine raffinierte Täuschung Durta Slargins. Denn der Bezwinger der Quellen wollte allein über die Sphäre herrschen. Seine Schüler, die Zauberer, sollten niemals so mächtig werden wie er. Deshalb dachte er sich die Legende vom Riesen Suul aus, um Angst zu schüren. Er missbrauchte die Magie, die Tathril ihm verliehen hatte, und enthielt seinen Schülern den Schwarzen Schlüssel vor, damit sie nicht selbst die Sphäre durchschreiten konnten.
    Für die Bathaquar war Suul deshalb nur ein Ausdruck von Durta Slargins Verlogenheit. Mit falschen Legenden hatte Sternengänger Gharax unterworfen, und er beherrschte die Welt noch immer … so wie Mondschlund, sein Bruder im Geiste und ebenso verlogen. Um die Quellen zu bezwingen, musste dieses Übel an der Wurzel gepackt werden.
    Dies war die Aufgabe der Bathaquari. In ihren Augen war das Zeitalter der Wandlung eine Ära des Kriegs gegen Mondschlund und Sternengänger, und sie waren auserkoren, um den zwei Zauberern die Macht über Gharax zu entreißen.
     
    Trügerische Stille lag über der Bucht von Imris. Der Sturm hatte sich gelegt. Die letzten Schneeflocken sanken vom Himmel und schmolzen auf dem Wasser.
    Der Nebel war bis zum Hafen der Stadt vorgedrungen. Aus den Schwaden lösten sich langsam die goldenen Schiffe. Augenpaare blickten über die Reling; schwarz und funkelnd, dunkle Perlen der Nacht. Doch die Körper der Goldéi waren kaum auszumachen. Sie bestanden selbst aus Nebel, weiß und unstet.
    Sie betrachteten den Ort, an dem einst Imris gestanden hatte. Die Stadt der Neun Pforten war nicht mehr. Schneemassen türmten sich an ihrer Stelle auf; ein Gletscher aus Eisbrocken, zermalmtem Gestein und grauem Kies, wie von einer mächtigen Hand in die Bucht geschoben. Der Gletscher wirkte wie

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