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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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sie das Gefühl hatte, jeden einzelnen Eiskristall zu fühlen. Dann stellte sie sich vor, dass die Säule ein Schiff wäre, das sie hochzuheben hätte, legte all ihre Gedankenkraft hinein …
    … und wenige Augenblicke später verriet ihr ein markiges Knacken, dass ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt waren.
    Die Eissäule zerbarst unter den unsichtbaren Kräften, die auf sie einwirkten. Splitter fegten nach allen Seiten und glitzerten im Licht der Fackel, ehe sie auf den ebenfalls von Eis überzogenen Boden fielen und zersprangen.
    Einen Augenblick lang wankte Kalliope unter der Anstrengung. Ihre Arme, die sie in Richtung der Säule ausgestreckt hatte, um ihre Kräfte zu bündeln, sanken langsam herab. Dann schlug sie die Augen auf, ihr Blick klärte sich – und sie sah die unzähligen Eisbrocken wie eine Welt aus Splittern, in deren Mitte der Schild lag. Von seiner eisigen Kruste befreit, wirkte er noch um vieles eindrucksvoller und makelloser als zuvor, das goldene Zeichen schimmerte im Fackelschein.
    »Ich … ich danke dir«, sagte Erik verblüfft und trat über das knirschende Eis auf den Schild zu, um ihn vom Boden aufzuheben. Kaum hatte er ihn jedoch angefasst, ließ er ihn mit einem Aufschrei der Überraschung wieder los.
    »Was ist?«, wollte Kalliope wissen.
    »Er fühlt sich warm an«, erwiderte Erik verwundert.
    »Wie ist das möglich?« Kalliope schüttelte den Kopf. Der Schild hatte über viele Zyklen hinweg unter Schichten von Eis gelegen, und nach allem, was sie über Metalle wusste …
    Sie trat ebenfalls vor und bückte sich, um die Hand danach auszustrecken. Erik hatte recht. Das Metall fühlte sich warm an, und sie hatte das Gefühl, von einer Welle unsichtbarer Energie durchströmt zu werden, als sie es berührte. Fast wie bei einem Lebewesen …
    »Ist das nicht eigenartig?«
    Kalliope nickte. Doch nicht nur die eigenartige Beschaffenheit des Metalls erregte ihre Aufmerksamkeit, sondern auch der Schild selbst, der nun, da er vom Eis befreit war, eine seltsame Faszination auf sie ausübte, so als wäre er etwas Altvertrautes, das sie zum ersten Mal nach langer Zeit wiedersah. Fasziniert sah sie zu, wie die Eissplitter, die sich in der Wölbung des Schildes gesammelt hatten, zu schmelzen begannen. Schon bedeckte Wasser die spiegelglatte Innenseite, und Kalliope konnte sich darin sehen.
    Ihre blassen Gesichtszüge.
    Das dunkle, streng zurückgekämmte Haar.
    Die blauen Augen …
    Plötzlich stieß sie einen überraschten Schrei aus. Sie wusste nicht zu sagen, ob sich das Bild verändert hatte, während sie darauf starrte – aber auf einmal wurde ihr klar, dass es nicht ihr Gesicht war, das ihr aus dem Spiegel des Schildes entgegenblickte.
    Sondern das eines jungen Mannes.

16. Kapitel
    »Nun? Ich warte!«
    Haronas von Askese und Verzicht gestählten Gesichtszüge hatten einen harten, geradezu unbarmherzigen Ausdruck angenommen. Prisca war es gewohnt, sich stets den höchsten Anforderungen stellen zu müssen – so harsch jedoch war sie von ihrer Meisterin noch niemals gerügt worden.
    »Es kann nicht mehr lange dauern«, suchte Prisca ihre Meisterin zu beschwichtigen. Unerwartet war Harona in der Großen Halle von Thulheim aufgetaucht, die nach dem Sieg über Fürst Magnusson und seinen Sohn zum Sitz der Inquisitorin geworden war. Der königliche Statthalter, der die Streitmacht begleitete und der offizielle Repräsentant Ardath Durandors war, hatte mit kleineren, weniger repräsentativen Räumlichkeiten auskommen müssen.
    »Das hoffe ich sehr – in deinem Interesse«, beschied Harona ihr kalt. »Die Erschütterung, die ich gespürt habe, war heftig. Etwas hat sich verändert, und wir tun gut daran, herauszufinden, was genau das gewesen ist.«
    »Seid unbesorgt«, suchte Prisca ihre Meisterin zum ungezählten Mal zu beschwichtigen. »Ihr werdet sehen, dass alles seine Ordnung hat.«
    Haronas Gesichtszüge verzerrten sich. »Wenn du wüsstest, was auf dem Spiel steht, würdest du nicht so leichtfertig sprechen. Habe ich dir nicht beigebracht, deine Pflichten stets zu meiner größten Zufriedenheit zu erfüllen?«
    »Das habe ich, Inquisitorin.«
    Harona erwiderte etwas Unverständliches. Sie wandte sich ab und ging mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab. Es war seltsam, sie so zu sehen und doch zu wissen, dass sie nicht wirklich da war.
    Prisca hatte stets geahnt, dass die Fähigkeiten ihrer Meisterin die einer gewöhnlichen Levitatin bei Weitem übertrafen. Sie hatte gewusst,

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