Sportreporter
Telefonzelle lehne ich mich schwer gegen das kühle Plexiglas und fixiere einen auf dem leeren Parkplatz gestrandeten Einkaufswagen, während das Fräulein vom Amt im fernen Bezirk 401 die Liste der Namen durchgeht. Auf der anderen Seite des geteerten Platzes hat eine Hamburger-Bude über Ostern geöffnet. Ground Zero Burg – ein Andenken an die alten, niedrigen Imbißlokale der vierziger Jahre: auf Schienen laufende Fliegengitter, ringsum Fenster, gestreifte Markisen. Ein einzelner schwarzer Wagen steht mit der Schnauze unter der Markise; durch das Seitenfenster beugt sich ein für die Autos zuständiges Serviermädchen und unterhält sich mit dem Fahrer. Der Himmel ist weiß und gleitet mit hoher Geschwindigkeit aufs Meer zu. Dinge können einem zustoßen. Ich weiß es. Das Böse lauert fast überall, und die meisten der gewöhnlichen Heilmittel kommen gegen den Tod nicht an. Ich habe schon öfter mit ihnen zu tun gehabt.
Es klingelt einmal, und schon meldet sich jemand.
»Hallo.«
»Selma?« Ein unerklärlicher Name, ich weiß, aber im Arabischen wird er anders ausgesprochen.
»Ja?«
»Tag, Selma, Frank hier. Frank Bascombe.«
Schweigen. Verwirrung. »Ach. Ja. Natürlich. Und wie geht es dir?« Zigarettenrauch, gegen den Hörer geblasen. Bis dahin keine Überraschung.
»Gut. Mir geht’s gut.« Es könnte mir nicht schlechter gehen, aber das werde ich nicht zugeben. Und wie weiter? Ich habe sonst nichts zu sagen. Was erwarten wir von anderen Menschen, was sollen die für uns tun? Zu meinen Problemen gehört, daß ich kein Problemlöser bin. Ich verlasse mich auf andere, auch wenn ich das nicht wahrhaben will.
»Na so was. Wie lang ist das jetzt her?« Es ist verdammt nett von ihr, daß sie versucht, Konversation zu machen, da ich dazu offenbar unfähig bin.
»Drei Jahre, Selma. Kommt einem irgendwie lange vor.«
»O ja. Und du schreibst immer noch … Worüber hast du damals geschrieben, was ich so lustig fand?«
»Über Sport.«
»Genau, über Sport. Jetzt erinnere ich mich wieder.« Sie lacht. »Es waren keine Romane.«
»Nein.«
»Gut. Es hat dich so glücklich gemacht.«
Ich beobachte die Ampel an der Verbindungsstraße 524, wie sie von Gelb auf Rot umspringt, und versuche mir das Zimmer vorzustellen, in dem sie sitzt. Ein Haus im Queen Anne-Stil, weiß oder blau, beim College oben. Angell Street oder Brown Street. Vom Fenster aus ein schöner Blick auf Ulmen und Straßen, die auf die großen alten Fabrikgebäude zulaufen, und im fernen, dunstigen Hintergrund die große Bucht. Wenn ich nur dort sein könnte, anstatt auf einem Parkplatz in Adelphia. Ich wäre unendlich viel glücklicher. Neue Aussichten. Echte Möglichkeiten, die wie neue Berge ins Blickfeld rücken. Ich wäre im Nu zu überzeugen, daß die Dinge gar nicht so schlecht stehen. »Frank?« unterbricht Selma das nachdenkliche Schweigen an meinem Ende der Leitung. Ich sehe mich auf einem Segelboot in der Bucht, berechne Wind und Strömungen. Bevölkere eine andere Welt.
»Was denn?«
»Fühlst du dich auch wirklich gut? Du hörst dich ziemlich merkwürdig an. Ich freu mich immer sehr, wenn ich von dir höre. Aber du klingst gar nicht so, als ob es dir gutgeht. Wo genau bist du jetzt?«
»In New Jersey. In einer Telefonzelle in einem Städtchen, das sich Adelphia nennt. Gewiß, es könnte mir besser gehen. Aber das ist schon in Ordnung. Ich wollte nur mal deine Stimme hören und an dich denken.«
»Das finde ich sehr nett. Vielleicht sagst du mir einfach, was dir fehlt.« Das vertraute Klimpern eines einzelnen Eiswürfels (manche Dinge bleiben immer gleich). Ich frage mich, ob sie im Augenblick wohl ihren Al Fatah-Burnus trägt, der unsere jüdischen Kollegen verrückt machte. (Privat waren sie natürlich davon begeistert.)
»Was machst du im Augenblick?« frage ich und lasse den Blick über den Acme-Parkplatz schweifen. Im Glas vor meinen Augen ist der Name Shelby eingeritzt. Ein kühler Uringeruch umgibt mich. Vor dem Ground Zero Burg tritt das Serviermädchen plötzlich von dem einsamen Wagen zurück, die Hände – wie es aussieht, angewidert – in die Hüften gestemmt. Ärger könnte dort in der Luft liegen. Die wissen nicht, wie gut sie’s haben.
»Hm. Na ja. Ich lese heute«, sagt Selma mit einem Seufzer. »Was werde ich schon tun?«
»Sag mir, was du liest. Ich hab schon ich weiß nicht wie lange kein Buch mehr gelesen. Ich wollte, es wäre anders. Das letzte, das ich gelesen habe, war nicht sehr gut.«
»Robert
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