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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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»Weißt du, was wir gemacht haben, als meine Mama gestorben ist?« Sie hebt den Blick, wie um zu sehen, ob ich noch da bin.
    »Nein.«
    »Wir sind alle Polynesisch essen gegangen. Dabei kam es nicht etwa überraschend. Sie hatte alle Krankheiten, die man nur haben kann, und ich arbeitete auch noch in der Klinik, am Texas Shriners, und wußte aus Gesprächen mit den Ärzten über alles Bescheid, was ich eigentlich gar nicht so gut finde. Jedenfalls sind Everett und Daddy und Cade und ich mitten am heißen Nachmittag ins Garland-Einkaufszentrum rausgefahren und haben poo-poo pork gegessen. Wir wollten einfach essen. Ich glaube, wenn jemand stirbt, willst du einfach essen. Und dann sind wir losgezogen und haben Geld ausgegeben. Ich hab mir eine mit Perlen zu erweiternde goldene Halskette gekauft, die ich nicht brauchte. Daddy hat sich bei Dillard’s einen Anzug mit Weste gekauft, dazu eine neue Armbanduhr. Cade hat sich auch etwas gekauft, und bei Everett war es ein neues Auto, eine gebrauchte rote Corvette, die er wahrscheinlich immer noch fährt. Geld hat er ja gehabt.« Sie schiebt die Unter- über die Oberlippe und konzentriert sich mit finsteren Blicken auf die lebhafte Erinnerung an Everetts Sportwagen, die nun deutlicher hervortritt als die Erinnerung an den Tod. Es entspricht ihrer Natur, Gegenständen mehr zu vertrauen als Existentiellem. Und in vieler Hinsicht macht sie das zur perfekten Gefährtin.
    Ihre Geschichte hat mich jedoch plötzlich in eine düstere Stimmung versetzt. Es gibt bei einer solchen Enthüllung Aspekte mit einer felsenfesten Tatsächlichkeit, die ich nicht mag. Tapferer wäre ich bei der Geschichte von einem Leichtathleten, der am Vorabend seines letzten großen Wettkampfs erfährt, daß er Lou Gehrigs Krankheit oder einen Gehirntumor hat, und der sich entscheidet, trotzdem zu laufen. Aber in dieser Geschichte schützt mich nichts vor den Emotionen – sehr intensiven Emotionen – im Zusammenhang mit einem konkreten Tod, und während ich über die auf Trägern ruhende Schnellstraße rase, fühle ich mich plötzlich so wie an jenem Morgen, den ich beschrieben habe: betroffen von einem Verlust und in Gefahr, von einem noch schmerzlicheren Verlust weggefegt zu werden.
    Frauen haben es mir immer leichter gemacht, meine Last zu tragen, haben es mitbekommen, wenn mich der Mut verließ, und mich mit dem guten alten Alles-ist-möglich aufgeheitert, obwohl natürlich nicht alles möglich ist und nie war.
    Nur daß diesmal der tröstende Geist von einem unberechenbaren Wind aus dem Wagen gesogen wurde und mich mit einem Flattern im Magen und einem harten Zug um den Mund zurückgelassen hat, als ob mit dem Schlimmsten zu rechnen sei. Ich bin für einen Augenblick auf die Ebene abgeglitten, wo Frauen mit den uralten Methoden nicht mehr helfen können (genau das hat natürlich X heute morgen gesagt, und ich habe es weggewischt). Nicht daß ich die alte Sehnsucht verloren hätte; es ist nur, daß die alte Sehnsucht allem Anschein nach plötzlich durch Tatsachen zu Fall gebracht werden kann, Tatsachen, an denen kein Weg vorbeiführt – die Essenz eines kleinen, leeren Augenblicks.
    Vicki mustert mich, die Augenbrauen zusammengezogen, mit drohenden Blicken. »Was hast du, ist dir eine Laus über die Leber gekrochen?«
    Wenn wir jetzt weiter im Norden wären und an der Vince Lombardi-Gedenkstätte vorbeikämen, würde ich haltmachen und eine halbe Stunde damit verbringen, die denkwürdigen Erinnerungsstücke des berühmten Footballtrainers zu bewundern – die bronzene Büste, das Bild der »Fünf Granitblöcke«, den berühmten Gabardinemantel. Wir haben heute genügend Zeit. Aber Vinces Rastplatz ist weit weg, noch hinter dem Stadion der Giants, und wir sind hier unten zwischen den lodernden Raffinerien, und nirgends ein Zufluchtsort.
    »Wenn du mich einfach fest umarmen würdest«, sage ich. »Du bist ein wunderbares Mädchen.«
    Und augenblicklich nimmt sie mich mit furchterregender Heftigkeit in den Schwitzkasten. »Oh, oh, oh«, seufzt sie mir ins Ohr, und im Nu (ich irrte mich nicht) stieg das Verlangen in mir auf. »Macht es dich glücklich, mich hier zu haben?« Sie tätschelt mir sanft die Wange und läßt den Blick nicht davon.
    »Glaub mir, wir werden uns toll amüsieren.«
    »Mein armer Junge«, murmelt sie, »armer, armer Junge.« Sie küßt mich aufs Ohr, bis mir die Beine zittern, und ich will die Augen zukneifen und mich einfach gehenlassen. Das genügt, uns nach oben zu bringen,

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