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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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erwarten sie mehr als ein Kind. Sie erwarten ein Geschenk. Etwas, das ihr Leben reicher, intensiver, sinnerfüllter werden lässt. Es geht dabei sicher auch um Lifestyle. Elternlifestyle.
    Eine Frau, die Mutter wurde, ein Mann, der Vater wurde – das war mal ein Schritt in ein anderes, älteres Leben. Heute versuchen wir, beide Welten zu vereinen. Die Jugend und die Reife. Beck’s Gold und Stilltee.
    Wir wollen nicht mehr wegen der Kinder unser Leben verändern, uns älter, weniger sexy fühlen. Wir sitzen mit den Kindern in Cafés. Nehmen sie mit auf Partys. Manche Kinder sitzen heute wahrscheinlich öfter im Café als in der Buddelkiste. Sie sind die Juniorpartner in unserem Lifestyleprojekt. Die Rollen haben sich verändert. Kinderkult führt zu Mutterkult, führt zu Vaterkult.
    Ich bin ein Sinnträger geworden, Jochen. Ein Diener des Heiligen Kindes. Ich könnte heute meinen Lebenssinn allein damit begründen, Vater zu sein. Wobei der Begriff »Vater« eigentlich nicht mehr stimmt. Er ist veraltet, weggespült von den Entwicklungen. Dein Vater war noch ein Vater, Jochen.
    Ich bin eine Ko-Mutter.
    aw:
    Ein lesbischer Mann. Das neue Geschlechtergenre der Nullerjahre!
    Ist das eine gute Entwicklung, Maxim? Die Ko-Mutter-Bewegung?
    re:
    Na ja. Gut für wen?
    aw:
    Keine Ahnung, ich bin kein Familienexperte. Ich beobachte nur, schaue über den Gartenzaun. Ich sehe dann die ganzen Projektkinder. Der Druck muss hoch sein. Sie werden früh ins Schaufenster gestellt, sie haben repräsentative Funktionen. Ihre Eltern glauben an sie. Wahrscheinlich gab es noch nie so viele hochbegabte Kinder wie heute. Sperrt man dreißig junge Eltern in einen Raum, werden 28 sagen, dass ihnen Dinge aufgefallen sind, die sie noch nie bei einem anderen Kind gesehen haben. Nie! Die restlichen beiden Elternpaare denken das Gleiche, geben es aber aus Bescheidenheit oder religiösen Gründen nicht zu. Zeigt sich ein Kind ungeschickt bis zur Verzweiflung, sagen die jungen Eltern: Seine Synapsen sind wegen der Hochbegabung überlastet, die Motorik fällt aus, weil es von früh bis spät an den Bundeshaushalt denkt und die Bekämpfung der Altersarmut.
    Projektkinder werden auch streng behütet. Sie spielen auf Spielplätzen mit Naturkorkböden, werden auf dem Schulhof von Konfliktmanagern beschützt, klettern nicht auf ungesicherte Bäume und überqueren Straßen mit orangefarbenen Signalwesten in Begleitung von vier Erwachsenen.
    Sie leben im Familiensafe wie ein Edelsteinchen.
    re:
    Interessante Gartenzauneinschätzung. Aber was ich mich manchmal frage: Was bedeutet die Ko-Mutter-Bewegung für den Mann? Also für mich?
    aw:
    Warum stellst du immer nur die Fragen, und ich soll die Antworten liefern? Woher soll ich wissen, wie du dich als Ko-Mutter fühlst und was aus dir werden wird als Mann? Ich habe nur einen kleinen, unwissenschaftlichen, laienhaften Gedanken. Der Gedanke lautet: Es ist ein bisschen dumm, als Mann auf seine Alleinstellungsmerkmale zu verzichten. Auf die Unique Selling Points. Wir leben schließlich im Kapitalismus. Ich möchte meinen Gedanken mit einem Beispiel aus der Industriegeschichte illustrieren: Ich fahre einen alten Saab. Der Saab hat ein schönes, lang gezogenes, auffälliges Heck. Einen markanten Autoarsch. Viele mochten diesen Autoarsch. Irgendwann kaufte General Motors die Firma Saab. Sie fingen an, am Autoarsch rumzubasteln. Ihn zu verändern. Sie machten ihn gefälliger, runder, moderner, netter. Der Saab sah bald aus wie ein Opel. Und dann ging Saab pleite.
    re:
    Du siehst mich also als Opel, der mal ein Saab war? Als jemand, der seinen Markenkern verraten hat?
    aw:
    Ich spreche nur in Gleichnissen, Maxim. So wie Jesus.
    Der Markenkern des Mannes ist nun einmal: Er ist keine Frau. Und keine Ko-Mutter. Ich sage das nur, um dir zu helfen. Du bist in einem gefährlichen Alter, Maxim.
    re:
    Du bist genauso alt.
    aw:
    Ich bin zwei Jahre jünger. Aber was viel entscheidender ist: Ich habe keine Frau. Ich habe insofern, anders als du, nicht viel zu verlieren. Kein etabliertes Leben. Vierzig ist ein gefährliches, unheimliches Alter für einen Mann. Das glaube ich wirklich. Zum ersten Mal habe ich jetzt das Gefühl, die Zeit wird langsam knapp. Oder zumindest überschaubar. Ich bekomme zum ersten Mal ein Gefühl von Endlichkeit. Eine Idee von meiner Begrenztheit. Bislang war das Leben immer nur Zugewinn.

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