Sprechende Maenner
Jetzt bedeutet es auch langsam Verlust. An Mut, an Chancen, an körperlicher Unversehrtheit. Vielleicht kann ich mich jetzt, mit 39 oder 41, zum letzten Mal neu erfinden. Falls ich das möchte. Ich meine, ein 50-Jähriger wird sagen, das geht auch noch mit 50. Und selbst ein sechzigjähriger Mann kann noch träumen. Aber es wird immer schwieriger, der Aufbruch immer gewagter. Und die verbleibende Zeit für ein anderes Leben immer kürzer.
re:
Du willst dich noch mal neu erfinden? Was würdest du denn gerne machen?
aw:
Ich habe keinen konkreten Plan oder eine Idee. Es geht mir vor allem um die Möglichkeit. Erinnerst du dich, was du über die Monogamie geschrieben hast, Maxim? »Man kann für Reisefreiheit sein und trotzdem zu Hause bleiben.«
Aber man könnte eben auch losfahren. Und mir geht es so, dass ich manchmal denke: In zehn oder fünfzehn Jahre habe ich vielleicht den Plan oder die Idee. Und dann bin ich zu alt. Ich bin ja jetzt schon zu alt für manche Dinge. Werde ich noch mal eine Sprache wirklich gut lernen? Ein Instrument wirklich gut beherrschen? Eine Frau wirklich lieben?
Ich sage dann immer Ja. Aber es kann auch sein, dass es so ein Beruhigungs-Ja ist. Oder ein Placebo-Ja.
re:
Und eine Familie zu gründen? Wäre das ein Plan für dich?
aw:
Vielleicht. Aber eher so ein Fünfjahresplan. Man muss da auch ehrlich sein. Will ich das wirklich? Oder will ich es nur, weil ich denke, dass man es eben so macht? Es ist auch gerade eine schlechte Zeit für den Familienplan. Mir fehlt ein bisschen die Motivation oder, besser gesagt: Mir fehlen die Vorbilder. Leute, deren Leben mich darin bestärken könnte, zu sagen: Das will ich auch! Eine Familie! Ich bin eher von Paaren umzingelt, die ihre Gründungsphase lange abgeschlossen haben, seit einigen Jahren in der Verwaltungsphase le ben und jetzt die Trennungsphase erreicht haben. Es ist schwer, von einem Anfang zu träumen, wenn um dich herum gerade so viel zu Ende geht. Ich kenne bereits mehr Paare und Ehen, die es nicht geschafft haben, als solche, die noch zusammen, noch intakt sind. Ich kenne überhaupt immer weniger Paare, von denen ich sagen würde, sie sind glücklich.
Am Sonntag traf ich Robert, einen sehr alten Freund, wir waren zum Kino verabredet, aber Robert sah schlecht aus, irgendwie durch und down.
Was ist los?, fragte ich.
Sie ist ausgezogen, sagte Robert.
Sie?, fragte ich.
Tanja, sagte er.
Robert ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine Eigentumswohnung, in ein paar Tagen wird er 40. Er ist mit Tanja schon ewig zusammen, fast so lange wie du mit deiner Frau, Maxim. Er war einer der Ersten aus meinem Freundeskreis, der Vater wurde, 1997. Ich fragte Robert, was passiert ist.
Wahrscheinlich nicht mehr genug, sagte er.
Tag 30
An dem zwei Paare scheitern und es zu der nicht ganz unwichtigen Frage kommt, was man von der Liebe erwarten darf
Lieber Jochen, ich kenne diese Geschichten. Es sind die Gruselgeschichten der Vierzigjährigen. Ich schätze, in den vergangenen fünfzehn Jahren haben sich zwei Drittel unserer verheirateten Freunde und Bekannten getrennt. Oft Paare, von denen ich es nie erwartet hätte. Das verstört mich, denn Trennungen sind immer auch eine Bedrohung des eigenen Sicherheitsgefühls. Ich denke sofort: Kann mir das auch passieren?
Bei uns im Haus wohnten vor zwei Jahren noch drei andere Familien, mit denen wir gut befreundet waren. Ihre Kinder waren so alt wie unsere, wir hatten ähnliche Jobs, ähnliche Wohnungen. Ãhnliche Leben, könnte man sagen.
Ich dachte, wir vier Familien würden immer zusammenleben in diesem Haus.
Oft trafen wir uns abends, spontan, ohne Verabredung. Wir saÃen in irgendeiner der Wohnungen, tranken Wein, redeten, und allen war klar: Später, wenn die Kinder groà sind, aus dem Haus, gäbe es immer noch unsere Gemeinschaft, unsere Freundschaft. Wir würden zusammen alt werden. Es gab eine Vertrautheit und Nähe, die man selten hat zwischen so vielen Leuten. Wir glaubten, uns zu kennen. Vier Männer, vier Frauen.
Zwei von uns kamen sich dann zu nahe. Zwei der Familien zerbrachen, in unserem Haus, vor unseren Augen. Ich habe die Trennungen beobachtet, jede Etappe, jeden kleinen Schritt. Bei uns auf dem Sofa saÃen mal die Betrogenen, mal die Betrüger. Sie haben geweint, geschrien oder waren stumm vor Schmerz. Alles, woran sie geglaubt hatten, war verschwunden. Sie haben uns von ihren
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