Sprengstoff
seine Wirbelsäule fühlte sich an, als wäre sie aus Glas - das mußte schon der Kater sein. Er ging in die Küche und nahm den Hammer vom Regal. Als er damit ins Wohnzimmer zurückkam, rollte die Lichtkugel gerade den Pfahl hinunter. Der Bildschirm zeigte ein geteiltes Bild - auf der einen Seite war der Times Square zu sehen, auf der anderen die lustige Gesellschaft im Waldorf, die den Countdown mitsang: »Acht … sieben … sechs … f ü n f … « Eine fette Lady entdeckte sich selbst auf dem Monitor, lächelte verdutzt und winkte dann ihrem Lande zu.
Der Jahreswechel, dachte er. Absurd, aber er spürte plötzlich eine Gänsehaut auf seinen Armen.
Die Kugel war unten angekommen, und oben auf dem Allis-Chalmers-Gebäude flammten Leuchtziffern auf: 1974
Im selben Augenblick holte er mit dem Hammer aus, und der Bildschirm explodierte. Glassplitter spritzten auf den Teppich. Die heißen Drähte zischten, fingen aber kein Feuer. Um sicherzugehen, daß der Fernseher nicht in der Nacht aus Rache das Haus in Brand stecke, schlug er mit dem Fuß den Stecker raus.
»Frohes neues Jahr«, sagte er leise und ließ den Hammer fallen.
Dann legte er sich aufs Sofa und schlief fast augenblicklich ein. Er hatte das Licht angelassen. In dieser Nacht hatte er keine Träume.
Dritter Teil
JANUAR
Finde ich keinen Unterschlupf,
Oh, dann werde ich vergehen …
ROLLING STONES
5. Januar 1974
Die Sache, die sich an diesem Tag im Supermarkt ereignete, schien das einzige in seinem Leben zu sein, das wirklich für ihn geplant, für ihn gedacht und nicht bloß zufällig war. Es war, als hätte ein unsichtbarer Finger eine Botschaft auf einen seiner Mitmenschen geschrieben, die ausdrücklich nur für ihn bestimmt war.
Er ging gerne einkaufen, es war eine beruhigende, gesunde Beschäftigung. Und seit seiner Begegnung mit dem Meskalin genoß er es außerordentlich, ganz normale gesunde Dinge zu tun. Er war am Neujahrstag erst spät nachmittags aufgewacht und den Rest des Tages orientierungslos, so als befände er sich außerhalb von Raum und Zeit, ums Haus gewandert. Ab und zu hatte er einen Gegenstand auf-gehoben und ihn betrachtet und dabei war er sich vorgekommen wie Jago, der Yoricks Schädel untersucht. Dieses Gefühl war, etwas abgeschwächt, auch am nächsten Tag noch geblieben, und selbst am übernächsten Tag war es noch nicht ganz verschwunden. Aber in anderer Hinsicht war die Wirkung gar nicht so schlecht. Sein Geist fühlte sich gereinigt und entstaubt, so als hätte eine sauberkeitsfanatische innere Putzfrau das Unterste zuoberst gekehrt und ihn bis in den letzten Winkel geschrubbt und gescheuert. Er betrank sich nicht und mußte demzufolge auch nicht heulen. Als Mary ihn - ganz vorsichtig - am Abend des ersten Januars anrief, hatte er ganz ruhig und vernünftig mit ihr gesprochen. Ihre Positionen schienen sich nicht sehr verändert zu haben. Sie spielten eine Art Schach, bei dem jeder von ihnen eine Figur darstellte, die darauf wartete, daß der andere den ersten Zug tat. Doch dann hatte sie sich gerührt und das Wort Scheidung fallenlassen. Nur die Andeutung einer Möglichkeit, ein winziger Fingerzeig, aber es war ein Zug. Doch das störte ihn nicht. Nein, was ihn während der Nachwehen seines Trips am meisten aufregte, war der eingeschlagene Bildschirm seines Zenith-Farbfernsehers. Er konnte nicht verstehen, warum er das getan hatte. Er hatte sich so viele Jahre lang einen Farbfernseher gewünscht, auch wenn seine Lieblingsfilme die alten, schwarzweißen waren. Es war auch nicht die Handlung selbst, die ihn so verstörte, sondern ihr übriggebliebener Beweis - die verstreuten Glassplitter und die offen-liegenden Drähte. Sie schienen ihn vorwurfsvoll anzusehen: Warum hast du mir das angetan? Ich habe dir treu gedient, und du hast mich einfach zerschlagen. Ich habe dir nichts getan, und trotzdem mußtest du mich kaputtmachen. Ich konnte mich nicht verteidigen. Außerdem war es eine furchtbare Mahnung an das, was man bald seinem Haus antun würde. Schließlich holte er eine alte Decke und legte sie über die Trümmer. Das machte es sowohl besser als auch schlechter. Besser, weil er sie so nicht mehr sehen konnte, schlechter, weil er so das Gefühl hatte, eine verhüllte Leiche im Hause aufzubewahren. Den Hammer warf er weg, als wäre er eine Mordwaffe.
Aber hier im Supermarkt einzukaufen, das war eine gute Sache. So angenehm wie Kaffeetrinken in Benji’s Grill oder den Wagen durch eine Autowaschanlage zu fahren
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