Sprengstoff
jetzt durch die Menge bei den Kassen drängte. »Vorsicht«, rief er mit wichtigtuerischer Miene. »Machen Sie ihr Luft!« Als ob sie die noch brauchen könnte.
Er drehte sich um und wand sich aus der Menge heraus, wobei er sich mit den Schultern den Weg freibahnte. Die Ruhe, die er während der letzten fünf Tage so genossen hatte, war dahin. Wahrscheinlich für immer. Hatte es je ein deutlicheres Omen gegeben? Sicher nicht. Aber was hatte es zu bedeuten? Was nur?
Als er nach Hause kam, schob er die TV-Dinners ins Gefrierfach und mixte sich einen starken Drink. Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Den ganzen Weg vom Supermarkt nach Hause hatte er darüber nachdenken müssen, was sie damals mit Charlies Kleidern gemacht hatten.
Seine Spielsachen hatten sie zu einem Wohltätigkeitsladen in Norton gebracht, und die tausend Dollar von seinem Sparbuch - sein Collegegeld, sie hatten immer die Hälfte von all dem Geld, das er von den Verwandten zu Weihnachten und zu seinem Geburtstag bekommen hatte, trotz Heulens und Protesten seinerseits auf dieses Konto überwiesen - hatten sie auf ihr gemeinsames Konto umbuchen lassen. Sein Bett hatten sie auf Mamma Jeans Rat hin verbrannt. Er hatte damals nicht so ganz eingesehen, warum, aber er hatte nicht den Mut gehabt, sich dagegen aufzulehnen. Eine ganze Welt war um ihn zusammengebrochen, da sollte er um ein paar Sprungfedern und Matratzen kämpfen? Aber die Kleider, das war eine ganz andere Sache. Was hatten sie mit Charlies Kleidern gemacht?
Die Sache beschäftigte ihn den ganzen Nachmittag, bis er ganz nervös wurde. Beinahe hätte er Mary angerufen und sie danach gefragt, aber das wäre wohl das letzte Tüpfelchen auf dem i gewesen. Dann hätte sie nicht mehr raten müssen, in welcher geistigen Verfassung er sich befand.
Kurz vor Sonnenuntergang kletterte er auf den kleinen Dachboden hinauf, den man durch eine Falltür erreichte, welche in die Decke vom Ankleidezimmer des ehelichen Schlafzimmers eingelassen war. Er mußte sich auf einen Stuhl stellen und hochziehen. Schon seit ewigen Zeiten war er nicht mehr da oben gewesen, aber die Hundert-Watt-Birne brannte noch. Sie war dick mit Staub und Spinnweben bedeckt, aber sie brannte.
Er öffnete einen der verstaubten Kartons und entdeckte all seine Highschool-und College-Jahrbücher, die ordentlich darin verstaut waren. Auf jedem Highschool-Jahrbuch waren folgende Worte eingestanzt:
DER ZENTURIO
Boy High School …
Die College-Jahrbücher waren schwerer und besser gebunden. Auf ihrem Deckel war eingestanzt:
DAS PRISMA
Wir wollen uns erinnern …
Er schlug zuerst die Highschool-Jahrbücher auf und blätterte sie schnell bis zu den hinteren, signierten Seiten durch (›In der Oberstadt, in der Unterstadt und um die ganze Stadt herum, ich bin der Kerl, der euer Jahrbuch verdorben hat, hab’ alles falsch herum geschrieben - A. F. A., Connie‹).
Dann folgten die Fotografien ihrer ehemaligen Lehrer lang, lang ist’s her -, die steif hinter ihren Schreibtischen saßen oder neben der Tafel standen und vage in die Kamera lächelten. Danach die Fotos von Klassenkameraden, an die er sich kaum erinnerte. Darunter waren ihre außerschulischen Aktivitäten mit Noten aufgelistet (Rednerclub 1,2; Studentenbeirat 2,3,4; Poe-Gesellschaft, 4) zusammen mit ihren Spitznamen und einem kleinen Slogan. Von einigen kannte er das Schicksal (Armee, Tod bei einem Autounfall, stellvertretender Bankmanager), aber die meisten waren schon lange aus seinem Gesichtskreis verschwunden, und er hatte keine Ahnung, was aus ihnen geworden war.
Im letzten Jahrbuch seiner Abiturklasse stieß er auf das Foto eines jungen Barton George Dawes, der verträumt in die Zukunft blickt. Es war ein retouchiertes Bild, das sie damals im Atelier Cressey hatten machen lassen. Er war erschüttert, wie wenig dieser Junge noch von seiner Zukunft wußte und wie sehr er seinem Sohn ähnelte, dessen Spuren er ja eigentlich hier oben suchen wollte. Dieser Junge da auf dem Bild hatte noch nicht einmal den Samen produziert, aus dem später der Sohn werden sollte. Unter dem Bild stand:
BARTON G. DAWES
›Whizzer‹
(Wanderverein, 1, 2, 3, 4
Poe-Gesellschaft, 3, 4)
Bay High School
Bart, der Klassenclown, hat uns unsere schwere Last leichter gemacht!
Er packte die Jahrbücher in den Karton zurück und stöberte weiter auf dem Dachboden herum. Ein paar alte Vorhänge, die Mary vor fünf Jahren abgenommen hatte. Ein alter Lehnstuhl mit abgebrochenem Arm. Ein
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