Sprengstoff
nicht wahr, George? Du willst ihn nicht noch ein zweites Mal beerdigen.
»Ja, es geht um Charlie«, sagte er laut, mit tränenerstickter Stimme. »Und es geht um mich. Ich kann nicht. Wirklich, ich kann nicht …«
Er senkte den Kopf und ließ den Tränen freien Lauf. Sein Gesicht verzerrte sich, und er preßte beide Fäuste auf die Äugen wie ein kleiner Junge, der durch ein Loch in seiner Hosentasche seinen Bonbongroschen verloren hatte.
Als er endlich weiterfuhr, fühlte er sich völlig erledigt. Ausgetrocknet. Leer, hohl und vollkommen ruhig. Er konnte sogar die dunklen Häuser am Straßenrand betrachten, aus denen die Leute schon ohne großes Geschrei ausgezogen waren.
Wir wohnen jetzt auf einem Friedhof, dachte er. Mary und ich, wir leben auf einem Friedhof. Genau wie Richard Boone in / Bury the Living. Bei den Arlins brannte noch Licht, aber sie würden am fünften Dezember ausziehen. Die Hobarts waren am letzten Wochenende weggegangen. Leere Häuser.
Als er seine eigene Auffahrt hinauffuhr (Mary war schon oben im Schlafzimmer, er sah den schwachen Schein ihrer Leselampe), mußte er plötzlich an etwas denken, das Tom Granger vor ein paar Wochen zu ihm gesagt hatte. Er würde mit Tom darüber reden. Am Montag.
25. November 1973
Er saß vor dem neuen Farbfernseher und sah sich das Spiel Mustangs gegen Chargers an. Er hatte sich dazu seinen Privatdrink gemixt, Southern Comfort mit Seven-Up. Privatdrink deshalb, weil die Leute ihn auslachten, wenn er ihn in der Öffentlichkeit trank. Die Chargers hatten einen Vor-sprung von 27 zu 3 im dritten Viertel. Rucker war dreimal abgefangen worden. Tolles Spiel, was Fred? Kann man wohl sagen, George, ich versteh’ gar nicht, wie du die Spannung aushältst.
Mary war oben und schlief. Übers Wochenende war es wieder wärmer geworden, und draußen fiel ein leichter Nieselregen. Er fühlte sich ebenfalls schläfrig. Er hatte schon drei Drinks gehabt.
Während der Spielpause zeigten sie einen Werbespot. Bud Wilkenson stand vor der Kamera und erzählte, daß die Energiekrise wirklich ein Unglück sei und daß jeder sein Dach ab-dichten, den Dachboden isolieren und die Luftklappe im Kamin immer geschlossen halten sollte, wenn er nicht gerade Marshmallows röstete oder Hexen verbrannte oder so was.
Der Nachspann gab bekannt, welche Firma die Reklame finanziert hatte. Ein glücklicher Tiger blinzelte über das Fir-menzeichen hinweg, auf dem EXXON stand. Eigentlich hätte jeder merken müssen, daß die mageren Zeiten anbrechen würden, als Esso seinen Namen in Exxon änderte, dachte er. Esso glitt einem leicht über die Lippen, ein Klang, der von einem in einer Hängematte ruhenden Mann stammen konnte. Exxon klang eher wie der Name eines Kriegsherren vom Planeten Yurir.
»Exxon fordert euch schwächliche Erdlinge auf, die Waffen fallen zu lassen«, sagte er. »Auf die Knie, ihr schwachen Erdlinge!« Er kicherte und mixte sich einen neuen Drink. Dazu brauchte er nicht aufzustehen; der Southern Comfort, die Limoflasche und ein Plastikschälchen mit Eiswürfeln standen auf einem Beistelltisch neben seinem Sessel.
Das Spiel ging weiter. Die Chargers schössen den Ball hoch. Hugh Fednach, der Fänger der Mustangs, erwischte ihn und rannte damit zum Außenrand des Spielfeldes. Hinter dem Rücken des stahläugigen Generals Hank Rucker, der die Heisman-Trophäe wohl bloß einmal in den Nachrichten gesehen hatte, gewannen die Mustangs sechs Meter. Gene Voreman schoß den Ball aus der Hand. Andy Crocker von den Chargers gab ihn an einen Spieler der Mustangs ab. Ja, so lief das, wie Kurt Vonnegut so raffiniert gesagt hatte. Er hatte alle Kurt-Vonnegut-Bücher gelesen. Sie gefielen ihm hauptsächlich, weil sie witzig waren. Letzte Woche hatte er einen Bericht in den Nachrichten gesehen: Die Schulbehörde einer Stadt in North Dakota, Drake hieß sie wohl, hatte mehrere Ausgaben von Vonneguts Slaughterhouse Five, dem Roman über die Bombardierung von Dresden, verbrennen lassen.
Wenn man darüber nachdachte, konnte man einen witzigen Zusammenhang sehen.
Fred, warum gehen diese Scheißkerle von der Straßenbaubehörde nicht nach Drake und bauen ihre blöde Autobahn da? Ich wette, das würde denen gefallen. Gute Idee, George, schreib doch mal einen Artikel darüber und schick ihn an den Blade! Ach laß mich in Ruhe, Fred!
Die Chargers punkteten und lagen jetzt mit 34 zu 4 vorn.
Einige Cheerleaders tänzelten am Spielfeldrand und wackelten mit ihren Hintern. Er fiel in einen
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