Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
später bekamen wir einen Patienten mit Krampfanfällen. Er hatte schon Tage vorher über massive Kopfschmerzen geklagt und war schlieÃlich mit Schaum vorm Mund zusammengebrochen. Bei der Untersuchung im CT wurde ein Hirntumor festgestellt, der glücklicherweise operabel war. Schon am nächsten Tag wurde der Mann erfolgreich operiert. Stefan P. hatte den Patienten von der Einlieferung bis zur Diagnosestellung begleitet.
Am nächsten Tag sah ich, wie er zielstrebig in den Raum ging, in dem der Computertomograf stand.
»Stefan? Wo willst du hin? In der Zwei wartet noch ein verstauchtes Sprunggelenk!«
»Schwester Anna, ich brauche ein CT «, sagte er ernst.
»Für welchen Patienten?«
»Für mich.«
Ich seufzte. Seit der Sache mit dem Darmkarzinom hielt sich meine Sorge um seinen Gesundheitszustand deutlich in Grenzen.
»Und warum?«
»Ich habe Kopfschmerzen.«
»Ich auch. Kein Wunder bei dem Wetter. Es ist dermaÃen schwül, da muss man ja Kopfschmerzen kriegen.«
»Aber ich hatte noch nie Probleme mit dem Wetter«, entgegnete Stefan. »Und wenn es nun ein Hirntumor ist? Bei dem Patienten gestern fing auch alles mit Kopfschmerzen an â¦Â«
Ich dem Moment war mit klar, dass ich es mit einem Hypochonder erster Güte zu tun hatte. Alles, was er aus seinen Lehrbüchern lernte oder im Krankenhausalltag erlebte, bezog er auf sich. Wie sollte aus so einem Mann nur ein richtiger Arzt werden?
»Du bist doch ein guter Student, Stefan«, begann ich, ihm ins Gewissen zu reden. »Und ganz am Anfang deines Studiums hast du bestimmt gelernt, dass es für die meisten Schmerzen zig verschiedene Ursachen geben kann, oder?«
Stefan P. nickte.
»Ja, natürlich. Der menschliche Körper ist sehr komplex.«
»Genau. Wenn du also Kopfschmerzen hast, dann musst du alle Ursachen durchgehen: Hast du gestern Alkohol getrunken, könnte das Wetter schuld sein, hast du zu viel Stress, zu wenig Schlaf, einen verspannten Nacken â das alles und noch tausend andere Möglichkeiten kommen bei Kopfschmerzen in Betracht. Erst wenn du jede davon ausgeschlossen hast und die Beschwerden sich über einen längeren Zeitraum halten, dann solltest du dich an einen unserer Ãrzte wenden, okay?«
Stefan P. nickte. Und damit war auch das Thema Gehirntumor für ihn erledigt.
Seine Macke hatte er dadurch zwar nicht verloren, aber er hatte sie einigermaÃen im Griff, sodass er eine Woche später, als ich ihm in der Pause einen Kaffee anbot, zu mir sagte:
»Danke, im Moment nicht. Ich habe ein wenig Magenschmerzen. Ich weià nicht, ob mein Mittagessen zu fettig oder gar verdorben war, ob Blähungen für meine Leibschmerzen verantwortlich sind, ob es daran liegt, dass ich noch nicht auf der Toilette war, oder ob ich einen Tumor an der Bauchspeicheldrüse habe â und solange ich das nicht weiÃ, verzichte ich lieber auf Kaffee.«
Fünf Minuten später ging er zur Toilette, und als er grinsend wiederkam, war von Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht mehr die Rede.
***
Neben den Unwissenden und den Hypochondern gibt es natürlich auch noch diejenigen, die ihren Gesundheitszustand einfach ignorieren oder kurzerhand verleugnen. Ganz nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein.
So verhielt sich auch Gertrud M., die von zwei Polizisten zu uns in die Notaufnahme gebracht wurde.
»Jetzt lassen Sie mich doch! Mir ist nichts passiert! Ich bin topfit!«, keifte die 87-jährige Dame, die aus einer Platzwunde an der Stirn blutete.
Ich sah den Polizisten an, wie genervt sie waren. Der eine rollte nur mit den Augen, während der andere irgendetwas Unverständliches brabbelte.
»Frau M. hat einen Verkehrsunfall verursacht â¦Â«, sagte er, als die drei vor mir standen.
»Hab ich nicht!«
»⦠kann sein, dass sie sich noch mehr verletzt hat«, fuhr der Polizist unbeirrt fort.
»So ein Quatsch! Ich bin topfit!«
Die Beamten rollten noch mal ordentlich mit den Augen und verabschiedeten sich dann. Ich begleitete Frau M. in den Behandlungsraum und bat sie, sich zu setzen.
»Hören Sie, ich habe keine Schuld an dem Unfall! Die behaupten, ich wäre über Rot gefahren, bin ich aber nicht! Es war grün! Das weià ich ganz genau! Ich bin doch nicht blind!«
»Natürlich«, sagte ich beruhigend und tupfte ihr das Blut von der Stirn. »Ich bin mir sicher, dass Sie nichts
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