Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
Spucke weg. Hatte die Frau ein ganzes Medizinlexikon studiert, bevor sie den Rettungswagen gerufen hat?
»Jetzt warten wir erst mal das EKG ab, und dann sehen wir weiter«, sagte Dr. A., die inzwischen eingetroffen war, mit ruhiger Stimme.
Das EKG war unauffällig, die Blutwerte waren ebenfalls einwandfrei. Silke P. war kerngesund â was ihr aber überhaupt nicht in den Kram zu passen schien.
»Ich habe einen Infarkt! Ich spüre das doch!«
»Beschreiben Sie mir noch mal genau, wie sich Ihre Beschwerden abspielten«, bat ich sie.
»Mir war übel, ich hatte richtige Magenschmerzen. Und dann diese Panikattacken und die Atemnot â alles genau wie bei einem Infarkt!«
»Was haben Sie gemacht, bevor die Ãbelkeit losging?«
»Ich hatte Mittagspause. Ich hab in Mannis Fischbude was gegessen und war gerade wieder zurück im Büro, als es plötzlich losging.«
»Vielleicht haben Sie das Essen nicht vertragen?«, fragte ich vorsichtig.
»Vielleicht habe ich aber auch einen Hinterwandinfarkt, der nicht erkannt wird!«, entgegnete Silke P. grimmig.
Nur für den Fall, dass Sie kein medizinisches Lexikon studiert haben sollten: Ein Hinterwandinfarkt ist eine sehr ernste Angelegenheit. Sie können mir glauben, dass man mit solchen Patienten garantiert keine derartigen Diskussionen führt.
»Nein, den können wir ausschlieÃen«, sagte ich deshalb freundlich. »Sie dürfen jetzt nach Hause gehen.«
»Sie wollen mich mit einem womöglich todbringenden Infarkt nach Hause schicken?«
»Sie haben sich den Magen verdorben. Womöglich war der Fisch nicht mehr gut. Ansonsten sind Sie kerngesund.«
Aber die Frau wollte es partout nicht glauben. Obwohl Dr. A. und ich ihr ausführlich erläuterten, dass absolut alles in Ordnung mit ihr war, wollte sie am liebsten direkt auf die Intensivstation.
Ich habe selten jemanden erlebt, der sich so hartnäckig eine Krankheit wünschte, und ehrlich gesagt machte es mich angesichts der wirklichen Infarkte, die bei uns eingeliefert wurden und nicht selten tödlich endeten, doch etwas sauer.
»Seien Sie froh, dass es Ihnen so gut geht! Andere wären überglücklich!«
»Ich werde in ein anderes Krankenhaus gehen!«, schimpfte Silke P. »Und falls ich diesen Infarkt überleben sollte, werde ich Sie alle verklagen!«
Mit diesen Worten verlieà Silke P. die Notaufnahme, und ich habe nie wieder etwas von ihr gehört â ich nehme an, dass das ein gutes Zeichen ist.
***
Es sind allerdings nicht nur die Patienten, die manchmal unter akuter Hypochondrie leiden.
Im Zuge seines praktischen Jahrs kam Stefan P. zu uns in die Notaufnahme. Der junge Medizinstudent erinnerte mich auf den ersten Blick an einen Rockstar aus den 70er-Jahren: Seine dünnen Beine steckten in bunt gemusterten Hosen, und seine strähnigen Haare hingen ihm zottelig ins Gesicht.
Er hatte hervorragende Noten und war ein wirklich intelligenter Mann, der leider eine riesengroÃe Macke hatte: Er war sich selbst der liebste Patient.
Alles fing ganz harmlos an.
»Schwester Anna, darf ich Sie mal was fragen?«, meinte er zu mir und machte dabei ein extrem besorgtes Gesicht.
»Was ist denn los, Stefan. Alles okay?«
Er schüttelte den Kopf und musste schlucken.
»Nein. Ich habe ein Darmkarzinom â¦Â«
»Oh mein Gott!«, sagte ich geschockt. Mit Darmkrebs ist wahrlich nicht zu spaÃen. »Das ist ja furchtbar. Seit wann hast du die Diagnose?«
»Noch gar nicht. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie eine Darmspiegelung bei mir durchführen könnten.«
Stirnrunzelnd sah ich ihn an.
»Moment mal. Du weiÃt also gar nicht, ob du ein Darmkarzinom hast? Du befürchtest es nur?«
Er nickte. »Ja, genau.«
»Und wie kommst du darauf? Hast du Blut im Stuhl?«
»Nein. Aber ich habe gelesen, dass wechselnde Stuhlgewohnheiten ein Anzeichen von Darmkrebs sind. Und manchmal muss ich jeden Tag, manchmal aber auch nur jeden zweiten oder womöglich jeden dritten!«
Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
»Keine Sorge. Das ist normal.«
Dann drückte ich ihm einen Stuhltest in die Hand.
»Hier, damit wird okkultes Blut im Stuhl festgestellt. Wenn der Test negativ ist, brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
Dankbar nahm er den Test und machte sich wieder an die Arbeit. Damit war das Thema Darmkrebs für ihn erledigt.
Zwei Tage
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