Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
nichts anderes übrig, als ihn zu vertreiben. Dafür musste ich ihn aber erst mal wach kriegen.
»Hey, junger Mann«, sagte ich zu ihm. »Aufwachen. Sie können hier nicht bleiben. Wachen Sie auf!«
Bis auf ein lautes Schnaufen zeigte der Mann nicht die geringste Reaktion.
»Hallo!«, versuchte ich es energischer. »Aufwachen!«
Wieder keine Reaktion. Also musste ich ihn wohl oder übel wachrütteln. Da ich mir allerdings ungefähr vorstellen konnte, woher die rotbraunen und gelben Flecken auf dem Laken kamen, in das er sich gewickelt hatte, fiel mir diese Aktion wahrlich nicht leicht. Mit etwas Ãberwindung fasste ich ihn schlieÃlich an der Schulter, rüttelte und rief dabei immer wieder: »Aufwachen!«
Kurz darauf blinzelte der Mann mich müde an â und flippte völlig aus.
»Finger weg! Lass mich gefälligst pennen, du blöde Kuh!«, ranzte er mich an. »Das ist hier ein öffentliches Gebäude! Ich darf hier sein!«
Eine völlig falsche Einschätzung. Zum einen ist ein Krankenhaus kein öffentliches Gebäude und selbst wenn, dürfte er hier noch lange nicht schlafen.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihm etwas über die Infektionsgefahr erzählen sollte, die von den verschmutzten Laken ausging, aber das erschien mir doch recht sinnlos. Zumal der Mann eine beeindruckende Fahne hatte.
»Ich muss die Polizei rufen, wenn Sie nicht freiwillig gehen«, sagte ich stattdessen mit fester Stimme.
Was dann folgte, war eine Beschimpfungsorgie erster Klasse, die ich hier nicht in aller Ausführlichkeit beschreiben möchte, zumal praktisch jedes Wort weit unter der Gürtellinie war. Alle denkbaren und undenkbaren Worte für das weibliche Geschlecht schrie er mir entgegen.
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen â und verfluchte Dr. H., dieses groÃe, aber ängstliche Muskelpaket von einem Arzt, das mich hier hingeschickt hatte.
Ich drohte noch ein paar Mal mit der Polizei, und endlich erhob sich der Mann von seinem Lager. Allerdings lieà er es sich nicht nehmen, mir noch vor die FüÃe zu spucken, ehe er das Krankenhaus verlieÃ.
Als er endlich weg war und ich die dreckigen Laken einsammelte und zur Bettenaufbereitungsstation brachte, war meine Laune genau wie ich â im Keller.
Warum musste ich so etwas machen? Gehörte das wirklich zu meinem Job? Ich war doch nicht Krankenschwester geworden, um irgendwelche gestrandeten Existenzen zu vertreiben, die mich fertigmachen wollten!
Während ich mir wütend und aufs Gründlichste meine Hände desinfizierte, klingelte mein Handy.
»Schwester Anna, wo sind Sie denn?«, quengelte Dr. H. »Ich brauche Sie hier dringend!«
Ohne auch nur ein Wort zu sagen, drückte ich das Handy aus. Zornig stand ich unter der flackernden Neonröhre und schrie einmal aus tiefstem Herzen: »Verdammt noch mal!«, bevor ich mich wieder an die Arbeit machte.
Herr H. würde sich noch ein paar Takte von mir anhören müssen.
5
Frohes Neues ⦠â Mit Böllern und Brandwunden ins neue Jahr!
A rbeiten, wenn andere feiern â wenn man an solche Jobs denkt, fällt einem zuerst die Gastronomie ein. Obwohl das für das medizinische Personal einer Notaufnahme natürlich genauso gilt. Immer dann, wenn alle Menschen feiern, sei es nun zur FuÃballweltmeisterschaft oder an Weihnachten, haben wir richtig viel zu tun. Nicht in jedem Fall ist Alkohol im Spiel, der an solchen Tagen in besonderem MaÃe flieÃt, aber natürlich oft.
Andere feiertagstypische Erkrankungen wären zum Beispiel die klassischen Fondue-Verbrennungen, die um die Weihnachtszeit häufig passieren, oder die festsitzenden Glasscherben, die wir in der Karnevalszeit gerne aus den Patienten ziehen.
Und selbstverständlich herrscht auch Silvester Hochkonjunktur in der Notaufnahme. Es ist die Zeit der Brandwunden und Alkoholleichen. Ständig wird ein neuer Patient gebracht, überall warten Platzwunden und Brandblasen darauf, verarztet zu werden. Es geht zu wie im Bienenstock, und praktisch jeder Neuzugang hat entweder einen über den Durst getrunken oder sich beim Böllern ungeschickt angestellt.
Doch es gibt in jenen Nächten durchaus den ein oder anderen Patienten, der von anderem Leid geplagt ist.
Solch ein Patient war Frank S., der zu der raren Spezies zählte, die Silvester nüchtern in die Notaufnahme kam.
Kurz nach eins wurde der
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