Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
Spritze?«
»Selbstverständlich. Moment, ich hole sie rasch.«
Ich drehte mich um und hatte mich noch keine fünf Meter von Frau L. entfernt, als ich schon ihre Schritte auf dem Linoleum hörte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie aus dem Krankenhaus huschte.
Die Angst vor einem kleinen Pikser hatte sie vertrieben.
Für heute war es also gut. In vermutlich zehn Tagen würde ich sie dann wiedersehen.
Und die Krankenkasse würde wieder mindestens 200 Euro zahlen. Denn so viel kostete jede Fahrt mit dem Rettungswagen.
Einsamkeit hat ihren Preis.
***
Im Gegensatz zu Frau L. hatte mein nächster Patient definitiv Gesundheitsprobleme. Und zwar gewaltige.
Es war zwei Uhr in der Früh, als ich zu Rocco S. in den Behandlungsraum kam. Ich sah sofort, dass der Mann unter starken Schmerzen litt. Barfuà lag er auf einer Liege und hatte die Hände zu Fäusten geballt, um ein Wimmern zu unterdrücken. Beide FüÃe waren dick geschwollen und blaugrün verfärbt.
»Was ist passiert? Hatten Sie einen Unfall?«, fragte ich ihn mitleidig, während ihm der Chirurg Dr. Claas H. ein Schmerzmittel in den Arm injizierte.
Rocco S. brauchte einen Moment, bevor er einen klaren Satz sprechen konnte.
»Ja. Sozusagen.«
»Können Sie mir den Unfallhergang beschreiben?«
»Ich ⦠ähm ⦠ich bin gestürzt.«
»Mitten in der Nacht? Wo sind Sie denn gestürzt?«
»Ich ⦠bin Schlafwandler«, sagte er zögernd. »Und dabei bin ich aus dem Fenster gestürzt. Auf dem Rasen bin ich dann wach geworden und zurück ins Haus gegangen, um einen Rettungswagen zu rufen.«
Ich betrachtete seine schwarze Jeans und sein dunkles Sweatshirt. Hatte er in diesem Outfit geschlafen? Oder hatte sich der Mann nach seinem Sturz etwa noch umgezogen? Schwer vorstellbar. Doch eigentlich ging mich das gar nichts an. Meine Aufgabe war es, mich um die Verletzungen des Mannes zu kümmern, nicht um seine Kleidung.
»Wo tut es denn genau weh?«, fragte der Arzt nach.
»Hier, hinten an den Fersen. Ich glaube, es ist nur eine Prellung. Jetzt mit der Spritze geht es schon viel besser â¦Â«
Rocco S. wollte sich aufsetzen.
»Halt, halt. Mit so einer Spritze würden Sie sich sogar besser fühlen, wenn Ihnen die FüÃe amputiert worden wären. Nein, so kann ich Sie nicht gehen lassen. Wir müssen Sie röntgen.«
Ich griff zum Telefon und rief den Röntgenassistenten, der wenig später mit müden Augen im Behandlungsraum eintraf und den Patienten abholte.
»Das sieht mir nach einem doppelseitigen Bruch aus«, sagte der Doktor, als er die Röntgenbilder wenig später in den Händen hielt. »Sie haben sich beide Fersenbeine gebrochen. Und damit sind Sie noch gelaufen? Das ist ja unglaublich!«
»Ja, damit hat er tatsächlich noch fast 100 Meter zurückgelegt«, erklang in dem Moment eine fremde Männerstimme.
Erschrocken drehten wir uns um. Zwei uniformierte Polizisten standen im Raum, und Rocco S. stöhnte verzweifelt auf.
»Er war gerade dabei, eine Wohnung auszuräumen, als er von dem Mieter überrascht wurde«, erklärte der eine Beamte. »Todesmutig sprang er dann vom Balkon. Leider aus dem zweiten Stock.«
Die Polizisten grinsten.
»Und obwohl wir erst eine Viertelstunde später vor Ort waren, haben wir ihn ruckzuck gefunden«, sagte der andere Polizist stolz.
Kein Wunder, dachte ich mir nur. Mit zwei gebrochenen Fersenbeinen konnte man schlechter laufen als jeder Schlaganfallpatient.
Dr. Claas H. war in der Zwischenzeit ziemlich sauer geworden.
»Und so einen Verbrecher lassen Sie hier ohne Handschellen liegen?«, sagte er wütend. »Das ist ja unverantwortlich!«
»Ach was«, wehrte der eine Beamte ab. »Erstens waren wir nur am Kaffeeautomaten, und zweitens kann der doch gar nichts machen! Wo soll der denn hinlaufen? Wer in fünfzehn Minuten hundert Meter zurücklegt, ist wahrlich keine Gefahr«, grinste er.
Da hatte er vermutlich recht.
»Schlafwandler, so, so â¦Â«, sagte ich zu Rocco S., als ich ihn in den OP fuhr.
Rocco S. wich meinem Blick aus.
»Ich dachte, Sie kümmern sich nicht richtig um mich, wenn Sie erfahren, was wirklich passiert ist«, meinte er leise.
»Was für ein Unsinn. Jeder, der sich hier normal benimmt, wird auch normal behandelt. Keine Sorge, wir machen Sie schon wieder fit.«
»Fit für den Knast
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