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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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vierundzwanzig und sieben Uhr geöffnet. Selbst an Silvester hatte Mrado Typen vor dem Spiegel stehen und stöhnen hören. Einige Extra-Kilos stemmend, während der Rest der Landsleute Feuerwerke bestaunte und Schampus becherte. Mrado selbst hing an Abenden wie diesen allerdings niemals dort rum. Er musste sich um seine Geschäfte kümmern. Seine eigenen Standardzeiten lagen zwischen halb zehn und elf Uhr abends. Das Studio war perfekt.
    Der Club außerdem in mehrfacher Hinsicht ein Mittel zum Zweck. Rekrutierungsbasis. Informationsmagnet. Trainingslager. Mrado hielt die Muskelmänner unter Aufsicht.
     
    Die Zeit direkt nach dem Training im Umkleideraum – für Mrado eine der besten am Tag. Nach der Trainingseinheit war der Körper gut durchgewärmt, die Haare noch nass. Aus dem Duschraum dampfte es. Der Geruch nach Duschgel und Deodorant. Das Prickeln in den Muskeln.
    Entspannung.
    Er zog sich das Hemd an. Ließ es offen. Mrados Hals war breiter als die maximale erhältliche Hemdengröße. Ein Stiernacken per Definition.
    Sein Pensum am heutigen Tag: Schwerpunkt Rücken, Vorderseite Oberschenkel und Bizeps. Für den Rücken hatte er an Geräten gearbeitet. Langsame Muskelanspannungen im Kreuzbereich. Es war wichtig, nicht mit den Armen zu ziehen. Danach Back-ups. Training für den Lendenwirbelbereich. Dann die Oberschenkel. Dreihundertfünfzig Kilo an der Stange. Er lag auf dem Rücken und stemmte die Beine nach oben. Der Winkel zwischen Unterschenkel und Fuß sollte sich nicht verändern, sagten sie. Nach Mrados Auffassung: Anfängergequatsche – derjenige, der weiß, was er tut, streckt die Füße ein bisschen aus. Maximal mögliche Wiederholungen. Konzentration. Kurz davor, sich in die Hose zu scheißen.
    Die letzte Trainingsphase: Bizeps. Der Muskel aller Muskeln. Mrado trainierte ihn ausschließlich mit freien Gewichten.
    Morgen dann Nacken, Trizeps und die Rückseite der Oberschenkel. Jeden Tag Bauch. Der konnte nicht intensiv genug trainiert werden.
    Sein Block mit Notizen zu jeder Trainingseinheit lag an der Rezeption. Mrados Zielsetzung eindeutig. Noch vor Februar von einhundertzwanzig auf einhundertdreißig Kilo Muskelmasse zu kommen. Danach würde er die Strategie ändern. Die Muskeln definieren. Fett verbrennen. Bis zum Sommer, nur noch Muskeln. Ausschließlich, ohne Oberhautfett. Schick wie nur was.
    Außerdem trainierte er noch in einem anderen Club, im Kampfsportclub Pancrease Gym. Ein- bis zweimal die Woche. Allerdings plagte ihn das schlechte Gewissen. Er müsste eigentlich öfter dort hingehen. Muskelkraft aufzubauen war wichtig. Aber die Kraft musste auch genutzt werden. Mrados Arbeitspotential: die Furcht. Mit seiner Statur kam er schon relativ weit. Aber letzten Endes kam er mit dem, was er im Pancrease lernte, noch weiter: nämlich Knochen zu brechen.
    Er blieb für gewöhnlich noch zwanzig Minuten im Umkleideraum sitzen. Genoss den starken Zusammenhalt, der zwischen den Bodybuildern im Studio herrschte. Man nimmt einander wahr, nickt sich verständnisvoll zu, tauscht kurze Kommentare zum täglichen Trainingsplan aus. Freundet sich an. Das Spezielle an diesem Ort: Radovans Günstlinge auf einem Haufen.
    Die aktuellen Gesprächsthemen der Muskelmänner: die neue BMW 5 er-Serie. Ein Schussdrama auf Söder am vergangenen Wochenende. Neue Methoden, den Trizeps zu trainieren.
    Zwei Typen schaufelten sich Thunfisch aus Halbkilopackungen rein. Ein dritter nippte an einem graufarbenen Proteindrink. Biss von einem PowerBar-Riegel ab. Es war wichtig, direkt nach dem Training Proteine zu sich zu nehmen. Geschundene Muskelzellen zu noch größerem Umfang aufzubauen.
    Ein unbekanntes Gesicht unter den Jungs, ein neuer Typ.
    Mrado war schon stattlich gebaut. Aber der Neue: gigantisch.
    Er trotzte dem gewöhnlichen Ritual: Man kommt ein paarmal und hält sich vorerst zurück. Nimmt die allgemeine Stimmung auf. Zeigt Demut. Zollt den anderen Respekt. Aber dieser hier, der Riese, saß mitten zwischen den Jungs. Schien zu glauben, dass er zur Gang gehörte.
    Wenigstens hielt er bis jetzt den Mund.
    Mrado zog sich die Strümpfe an. Wartete. Er zog sie immer zum Schluss an. Wollte richtig trockene Füße haben.
    »Ich hab ’nen Job am Wochenende, falls jemand interessiert ist.«
    »Um was geht’s denn?«, fragte Patrik. Schwede. Ex-Skinhead, der die Seinen verlassen hatte und stattdessen seit einem Jahr mit Mrado zusammenarbeitete. Seine nationalistischen Tätowierungen waren seitdem Amok gelaufen. Nur noch

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