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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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fallen. Griff sich an den Fuß. Hüpfte auf einem Bein. Seine Augen tränten.
    Mrado dachte: Armer dämlicher Idiot. Du hättest lieber einen Schritt zurück machen und in Deckung gehen sollen.
    Mrado trat mit voller Wucht gegen das andere Bein des Typen. Hundertfünfzig Kilo krachten zu Boden. Mrado jetzt über ihm. Erstaunlich flink. Bewusst mit dem Rücken zur Fensterfront. Zog seinen Revolver. Einen Smith & Wesson Sigma . 38 . Er war klein, aber nach Mrados Auffassung funktionell. Man konnte ihn ohne Probleme unterm Jackett tragen, ohne dass er sich abzeichnete.
    Von draußen konnte man nicht sehen, was passierte. Direkt nach dem Training eine Waffe zu ziehen – für Mrado ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher war, dass er es innerhalb der Räume des Fitnessstudios tat.
    Den Lauf in den Mund des Riesen gedrückt.
    Mrado entsicherte die Waffe. »Hör gut zu, Idgit the Midget. Ich heiße Mrado Slovovic. Das hier ist unser Club. Setz nie wieder deinen Fuß hier rein. Das heißt, wenn davon noch was übrig ist.«
    Der Riese war genauso passé wie ein Filmsternchen aus einer Dokusoap nach drei Monaten. Sah selbst ein, dass er sich blamiert hatte.
    Vielleicht für immer. Vielleicht war er schon am Ende.
    Mrado stand auf. Richtete die Waffe nach unten. Auf den Riesen. Den Rücken zum Fenster. Wichtig. Der Riese lag noch immer am Boden. Mrado stellte sich auf seinen kaputten Fuß – einhundertzwanzig Kilo Mrado auf frisch gebrochenen Zehen.
    Der Riese wimmerte. Wagte nicht zurückzuweichen.
    Mrado registrierte: War das etwa eine Träne, die er da im Augenwinkel des Typen erblickte?
    Er sagte: »Dreikäsehoch, Zeit nach Hause zu humpeln.«
    Vorhang.

4
    Das Leben ging ääätzend langsam voran.
    Jede Nacht von acht Uhr abends bis sieben Uhr morgens eingesperrt zu sein bedeutete, viel Zeit zum Grübeln zu haben. Ein Jahr, drei Monate und sechzehn Tage im Knast. Ausbruchssicher, wie sie meinten. Vergiss es.
    Jorge ging auf dem Zahnfleisch. Sehnte sich nach Kippen. Schlief verdammt schlecht. Musste andauernd auf die Toilette. Die Aufseher wurden fast verrückt. Mussten ihm jedes Mal aufschließen.
    Endlose Nächte wie diese waren prädestiniert zum Nachdenken. Über ernsthafte Themen. Erinnerungen.
    Er dachte an seine Schwester, Paola. Sie studierte fleißig an der Universität. Sie führte ein anderes Leben.
Suedi style,
setzte auf Sicherheit.
    Er vergötterte sie. Überlegte, was er ihr sagen würde, wenn er wieder draußen wäre und sie regelmäßig sah. Und nicht immer nur auf ihr Foto starren musste, das über seinem Bett hing.
    Er dachte an seine Mutter.
    Er weigerte sich, an Rodriguez zu denken.
    Er ging im Geiste unterschiedliche Strategien durch. Dachte über seinen Plan nach. Vor allem: Er trainierte mehr als irgendein anderer.
    Jeden Tag lief er zwanzig Runden um die Anstalt herum, innerhalb der Mauern. Gesamtlänge der Strecke: acht Kilometer. Jeden zweiten Tag: Training im Fitnessraum. Oberste Priorität: Beinmuskeln. Vorderseite, Rückseite und Waden. Er arbeitete mit Gewichten. Gewissenhaft. Dehnte hinterher äußerst gründlich. Die anderen glaubten, er hätte einen an der Klatsche. Zielsetzung: vierhundert Meter unter fünfzig Sekunden, drei Kilometer unter elf Minuten. Könnte funktionieren, jetzt wo er weniger rauchte.
    Die Außenbereiche des Gefängnisses waren extrem getrimmt. Das Gras immer kurz gehalten. Die Büsche niedrig. Keine hohen Bäume. Das Risiko zu groß. Kieswege zwischen den einzelnen Gebäuden. Schonend für die Knie beim Lauftraining. Große Grasflächen, auf denen zwei Fußballtore aufgestellt waren. Ein kleines Basketballfeld. Einige Gestelle für das Training mit Langhanteln. Hätte auch als idyllischer Universitätscampus durchgehen können. Was die Illusion zerstörte: eine sieben Meter hohe Mauer.
    Laufen. Das war Jorges Ding. Sein Körperbau war drahtig, wie der eines Guerillasoldaten, keine aufgepumpten Muskeln, kein unnötiges Fett. Die Adern zeichneten sich deutlich auf seinen Unterarmen ab. Eine Krankenschwester hatte ihm in der Oberstufe einmal gesagt, dass er der Traum einer jeden Blutspendezentrale sei. Jorge, damals jung und unerfahren, forderte sie auf, von jemand anderem zu träumen, weil sie so verdammt hässlich war. An dem Tag blieb er von der Vorsorgeuntersuchung verschont.
    Seine Haare waren glatt/dunkelbraun/nach hinten gekämmt. Die Augen: hellbraun. Trotz allem, was er im Laufe seines Lebens in der Betonwüste schon angestellt hatte: eine gewisse Unschuld im

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