Spür die Angst
Ich hab ihn selbst entdeckt. War irgendwann mal hier draußen im Wald joggen. Hab die Wege in der Umgebung erforscht und bin neugierig geworden. Bin diesen Berg immer weiter hochgelaufen. Und hab das hier gefunden.«
Mrado überlegte diverse Strategien. Knallharter Stil. Selbstsicherer Stil.
Entschied sich für den Direkt-zur-Sache-kommen-Stil. »Alles schön und gut, Radovan. Aber was verschafft mir die Ehre, zum Abendessen eingeladen zu werden?«
»Dazu kommen wir später. Lass mich erst ausreden. Das hier ist im Übrigen eine ehemalige Skisprungschanze. Sie haben sie Ende der achtziger Jahre geschlossen, und seitdem stand sie leer und rottete vor sich hin. Ich hab das Areal letzten Sommer gekauft und bin dabei, es zu sanieren. Wird ein Konferenzgebäude. Festsaal. Könnte ein verdammt geiler Ort für Feste jeder Art werden. Was denkst du?«
Radovan ging um den Tisch herum. Zog Mrado den Stuhl heraus. Allein die Tatsache, dass Mrado über eine Minute lang stehen musste, war ein weiteres schlechtes Zeichen.
Radovan ließ sich weiter über den Sprungturm aus.
»Weißt du eigentlich, wie viele vergessene Orte wie diesen es in Stockholm gibt? Hab letzte Woche sieben Polacken einfliegen lassen, die den unteren Bereich herrichten sollen. Hier oben entsteht ein Restaurant mit einem luxuriösen Séparée in luftiger Höhe. Die Leute können hier geradezu machen, wozu sie Lust haben. Radovan lädt die Mädchen ein, organisiert das Essen, den Sprit, alles.«
Eine Frau kam mit einem Getränkewagen herein. Servierte Dry Martini. Die Olive glänzte, durchbohrt von einem Zahnstocher. Als die Tür geöffnet wurde, richteten sich Mrados Nackenhaare auf. Er spürte instinktiv, dass sie davorstanden: Stefanovic, der Fahrer und der Mann, der ihn unten in Empfang genommen hatte. Bereit, Gewalt anzuwenden, wenn es nötig wurde.
Radovan ging kein Risiko ein.
Mrado dachte: nicht gerade smart, jetzt irgendwas Unüberlegtes zu tun – aber das war es ja eigentlich nie.
Die Frau trug die Vorspeise auf. Toast Skagen. Schenkte Weißwein ein. Sie begannen zu essen.
Nach einigen Bissen legte Rado das Besteck zur Seite. Kaute zu Ende. »Mrado. Es ist wichtig, dass du unsere Situation verstehst. Du weißt sicher schon einiges von dem, was ich sagen will, aber hör Radovan gut zu. Wir sind auf dem Weg in eine neue Ära. Neue Zeiten. Neue Menschen. Andere Anforderungen an den Job. Wie du weißt. Heutzutage gibt es weitaus mehr Akteure auf dem schwedischen Markt als noch damals vor zwanzig Jahren, als wir angefangen haben. Da gab es ja praktisch nur uns und ein paar ausgediente, lahmarschige Bankräuber, Svartenbrandt und Clark Olofsson. Aber heute sieht Schweden anders aus. Die MC -Gangs haben sich etabliert. Die Jugend- und Gefängnisgangs sind inzwischen gut durchorganisiert, die EU hebt ihre Grenzen auf. Die größte Veränderung besteht allerdings darin, dass wir inzwischen sogar mit den Albanern, der russischen Mafia, einem Haufen Ganoven aus Estland und so weiter konkurrieren. Nicht nur, dass Westeuropa kleiner geworden ist. Der Osten befindet sich inzwischen vor Ort. Die Globalisierung und all das.«
Mrado saß stumm da. Wusste, dass Rado sich selber gerne reden hörte.
»Wir spielen auf einem internationalen Markt. Und genau in diesem Begriff liegt die Lösung. Tito hat das Ganze in all den Jahren zuvor praktiziert. Wir hingegen wussten nur wenig über Marktwirtschaft. Aber hier im Westen und in den demokratischen Ländern im Osten kümmern wir uns um das, was die Leute wollen – die ultimative Steuerung des Marktes. Und unsere Geschäfte sind eigentlich nichts anderes als genau das, nämlich die Essenz der Marktwirtschaft. Verbrechen sind unregulierbar, frei, durch Angebot und Nachfrage gesteuert. Ohne jegliche staatliche Einmischung. Ohne Planwirtschaft, kommunistische Bestimmungen oder Bevormundung von oben. Im Gegenteil, genau wie auf jedem beliebigen Markt hat der Stärkere das Sagen. Das ist die Zukunft. Und um das zu erreichen, müssen wir anpassungsfähig arbeiten. Den Sektor nach den Produkten auswählen, die zum aktuellen Zeitpunkt den Gewinn im Verhältnis zum Risiko maximieren. Uns nach alternativen Investitionen umsehen. Bereit sein, ständig zu investieren, Aktiva in neue Branchen injizieren. Mit unserem Kapital an Gewalt Marketing betreiben. Rekrutieren, fusionieren, reflektieren. Wir können uns nicht einfach zurücklehnen. Es ist weitaus effektiver, Berater zu engagieren und in kleinen Einheiten zu arbeiten,
Weitere Kostenlose Bücher