Spür die Angst
Kandinsky. Ein besonders großes mit drei abgetönten Farbfeldern, die farblich zur Tapete passten, konnte ein Mark Rothko sein.
Der Tisch war stilvoll und mit Finesse gedeckt. Weißes Tafelleinen sowie gemangelte grüne Leinenservietten mit Serviettenringen aus Silber. Antike Untersetzer für die Weinflaschen. Glänzendes Silberbesteck und Kristallgläser, wie es sich gehört.
JW liebte diese Atmosphäre.
Die Unterhaltung setzte sich fort. Die Jungs hörten sich offenbar selber gerne reden. Jetset-Calle zog mächtig vom Leder, Nippe riss unanständige Witze, und Fredrik prahlte mit seinen Geschäftsideen. Wie immer.
Anna erzählte von ihrer letzten Reise nach St. Moritz. Besserte nach jedem zweiten Satz ihren Lipgloss auf. Sie und eine ihrer Freundinnen hatten sich mit einigen Leuten aus einer Polomannschaft angefreundet, die jedes Jahr dorthin fuhren, um ihre Spiele auf dem gefrorenen Alpensee auszutragen. Sie arbeiteten alle als Banker in London, und Polo war für sie ein kleines Wochenendvergnügen. JW klinkte sich ins Gespräch ein, erzählte von seiner Reise nach Chamonix im letzten Jahr. Erfand das meiste, fügte noch etwas hinzu und übertrieb insgesamt schamlos. Das einzige Mal, dass er tatsächlich in den Alpen gewesen war, lag schon fünf Jahre zurück, und da hatte er in den Sportferien Anfang März an einer bezuschussten Reise teilgenommen, bei der sich fünfzehn Jungs aus Umeå und Robertsfors in einem Bus drängelten, in dem sie auch schliefen und letztlich endlos furzten, weil sie siebenundzwanzig Stunden lang unterwegs waren.
Anna war ganz süß und richtig nett. Aber langweilig. Hatte kein Feuer. Er hörte ihr dennoch zu, lachte über ihre Witze und fragte höflich nach. Er tat alles, um interessiert zu wirken. Sie redete drauflos und schien seine Gesellschaft zu mögen. Doch mit seinen Gedanken war JW bei Sophie.
Die Tischgespräche setzten sich fort. Alle waren inzwischen leicht angetrunken, aber entspannt. Gunn trug auf und räumte ab. Alle wirkten erwartungsvoll.
Fredrik hielt schließlich eine Dankesrede.
Danach wurde die Tafel aufgehoben, und sie begaben sich in eine Art Bar. An den Wänden waren ausladende Sofas mit vielen Kissen arrangiert, und vor jedem Sofa stand ein niedriger Beistelltisch. Auf den Tischen hatte Gunn Kerzenleuchter von Iittala in vier verschiedenen Farben platziert. In einer Ecke des Raumes stand ein klassischer Bartresen mit Holzverkleidung. Hinter dem Tresen: Martinigläser, Highballgläser, Tumbler, Bierkrüge und Weingläser in einem Vitrinenschrank. Unfassbar viele Flaschen mit diversen Alkoholika in den Regalen aufgereiht.
Gustaf stellte sich hinter die Bar. Rief laut in den Raum, dass er heute Abend den Barmann spielen würde und dass es an der Zeit sei, Bestellungen aufzugeben. Jemand stellte Musik an, Beyoncé. Das sorgte für Schwung.
Sie bestellten Drinks. Tranken Apple Martini, Gin Tonic, Bier. Gustafs Vater besaß außerdem einen richtigen Drinkmixer. Also bereiteten sie Fruchtdrinks zu: Strawberry Daiquiri, Pina Colada.
JW bestellte ein Bier. Beobachtete seine Freunde.
Nippe baggerte Carro an, Jetset-Carl stand an der Bar und redete mit Gustaf, die übrigen Gäste saßen auf den Sofas und unterhielten sich.
Im Hintergrund spielte dezente Musik. JW hörte Gunns Geschirrklappern aus dem Speisesaal.
Er spürte, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte.
Gunns Geräusche wirkten irgendwie störend, aufdringlich.
JW begriff ziemlich schnell, woran es lag. Die Musik in der Bar war zu leise – keiner tanzte, keiner lachte laut, keiner schrie ekstatisch. Simple Schlussfolgerung: Es fehlte einfach ein gewisser Drive – wie auf einem langweiligen Fest.
Er ging hinter den Tresen und stellte sich zu Gustaf. Hörte eine Weile zu, was Jetset-Carl sagte, bevor er dezent auf sich aufmerksam machte. Bat Gustaf, ihn kurz sprechen zu dürfen, und schlug vor, in den Nebenraum zu gehen.
Sie gingen in den Speisesaal, wo der Tisch inzwischen vollständig abgeräumt war. Gunn war effektiv. JW zog Gustaf einen Stuhl heran.
»Gustaf, ich find’s verdammt klasse, hier zu euch rauskommen zu dürfen. Was für ein phantastisches Essen.« JW kannte die sprachliche Grundregel: Fluche immer nur im positiven Sinn. Dann begann er, ihm sein Vorhaben schmeichelhaft zu machen. »Ich hab übrigens ’ne prima Idee. Zufällig hab ich nämlich ein paar Gramm Charlie dabei. Du hast es ja auch schon mal probiert. Wollen wir uns nicht ein wenig davon gönnen? Die Party
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