Spuk nach Mitternacht
an die Hausnummer im Holunderweg, wo Sie mit Ihrem Schulfreund Kinderzeit gespielt haben?“
Herr Brommel nickte. „Ja, es war die 39. Unten war eine Drogerie drin und oben drüber zwei Stockwerke mit Wohnungen.“
23 Uhr 48. Noch zwölf Minuten bis Mitternacht.
Balduin Pfiff schob die letzte Ecke Salamibrot in den Mund. „Haben Sie Feinde?“
„Nicht einen einzigen!“ versicherte Anton Cäsar Brommel, und Balduin Pfiff kicherte: „...sagte der Krebs, kurz bevor ihm ein anderer Krebs die linke Schere abzwickte. Was war das eigentlich für ein Schulfreund, mit dem Sie Klingelputzen und Scheibenwerfen waren?“
„Das war Herr Heinz! Er ist Geschäftsführer von ‚Schopf & Pelle’, der Wurstfabrik. Wir sind auch beide im Pfeifenclub ‚Blauer Rauch’!“
„Ich denke, Sie rauchen nicht?“ wunderte sich Balduin Pfiff. „Wir rauchen ja auch keine Pfeifen, wir sammeln sie. Unser Club umfaßt insgesamt dreizehn Herren.“
„Feine Herren, die Scheiben zertrümmern!“
„Müssen Sie sich noch lustig über mich machen?“
Herr Brommel sah auf die Standuhr. „23 Uhr 50!“ sagte er mit zittriger Stimme. „Vielleicht ist es die letzte Nacht meines Lebens. Meine arme Fa...“
Der Rest des Wortes blieb ihm regelrecht im Halse stecken. Fast erstarrt vor Fassungslosigkeit beobachtete er, wie der Detektiv in aller Gemütsruhe seine riesigen Latschen zwischen Tasse und Teller schob und sich mit hörbarer Zufriedenheit zurücklehnte.
„In zehn Minuten ist Mitternacht. Sie wollen doch jetzt nicht schlafen?“ zischelte Herr Brommel.
„Eben habe ich gespeist, und nun entspanne ich mich. Und wenn ich mich entspanne, lege ich immer die Beine auf den Tisch! Uuuuaaaaoooohhhh“, gähnte er. „Und außerdem wartet es sich so bequemer!“
„Du lieber Himmel, Herr Pfiff, Sie gähnen ja schon!“
„War ein Zeichen, daß ich noch nicht so richtig satt bin...“ Anton Brommel preßte sich gegen den kalten Kachelofen. „Ihre Ruhe möchte ich haben. Finden Sie nicht, daß Sie so gut beleuchtet für jeden Scharfschützen ein gefundenes Fressen sind?“ Diese Vorstellung ließ den von tausend Ängsten gepeinigten Anton Brommel erschauern. Balduin Pfiff dagegen trommelte sich ein gemächliches Tamtamtamteramtamtam auf den Bauch, kicherte leise in sich hinein, erhob sich und drehte zwei der drei Glühbirnen in der Stehlampe locker.
Mit einem „Sooooooo“ ließ er sich wieder in den Sessel fallen.
„Haben Sie noch nicht überlegt, Herr Brommel, daß die fünf Worte auf diesem Eilbriefwisch alles mögliche bedeuten können?“
„Wie meinen Sie das nun wieder?“ flüsterte Anton Brommel mit flatternder Stimme.
„Nun, zum Beispiel könnte um 0 Uhr 3 Ihr Telefon läuten und Sie einer fragen, ob Sie Ihren Blinddarm für einen guten Zweck spenden wollen, hehehehe...“
„Herr Pfiff...“ stöhnte Brommel.
„Oder es klingelt an der Haustür, und jemand bringt Ihnen einen neuen Brief. Vielleicht zusammen mit einem Blumenstrauß.“
„Blu... Blu... Blumen???“ Brommel begann langsam an Balduin Pfiffs Verstand zu zweifeln. Der aber lachte leise: „Na, immerhin gibt’s ja auch Blumen, die mordsmäßig stinken!“
23 Uhr 53.
Langsam und monoton tropften die Minuten dahin.
Das breite, behäbige Dong — Dong — Dong — Dong der Standuhr füllte den Raum bis in den letzten Winkel.
Balduin Pfiff saß so, daß er das großflächige, zweiflügelige, zum Garten führende Fenster im Blickwinkel hatte.
Eine Menge ging ihm durch den Kopf. Und er fragte sich, ob um null Uhr drei wirklich etwas geschehen würde — und wenn ja, was.
Anton Brommel dagegen hockte nach wie vor im Schatten des Kachelofens.
Dong — Dong — Dong — Dong...
23 Uhr 55.
Während Baldu inPfiff scheinbar gelangweilt dreinschaute, wurde Brommel von Minute zu Minute nervöser. Immer unruhiger hasteten seine Augen zwischen dem Detektiv, dem Zifferblatt der Standuhr und dem Fenster hin und her. Dong — Dong — Dong — Dong.
Unbeirrt pendelte das goldschimmernde Perpendikel von links nach rechts, von rechts nach links.
Dong — Dong — Dong — Dong...
23 Uhr 57.
Balduin Pfiff kratzte sich gerade am Kopf, als Anton Brommel mit einem Schrei aufsprang und zum Fenster deutete.
„Da!“ keuchte er.
Auch der kleine Detektiv war hochgeschossen.
„Was ist los?“ fragte er leise und sah ebenfalls zum Fenster.
„Ich hatte eine Hand gesehen!“ erwiderte Herr Brommel und wußte im gleichen Augenblick, daß er auf eine ganz hinterlistige
Weitere Kostenlose Bücher