Spur der Flammen. Roman
lag ein seltsamer Ausdruck, als er endlich antwortete. »Ja«, meinte er zögernd. »Es geht … aber auch um Gott.«
Candice zog eine Braue hoch. »Ich denke, die Alexandrier sind Atheisten?«
»Sie glauben schon an Gott.« Langsam fügten sich die Puzzleteile in seinem Gedächtnis zusammen. »Sie glauben nur nicht, dass es ihn gibt.«
»Wie meinst du das?«
»Gott existiert noch nicht, und das wahre Ziel dieser Gesellschaft ist –
Gott zu erschaffen.
«
Kapitel 30
I n den letzten achtundvierzig Stunden hatte Philo kein Essen angerührt, nur Mineralwasser getrunken, dennoch fühlte er sich gestählt und energiegeladen wie nie zuvor. Er nahm gerade ein Dampfbad in seiner Privatsuite im Schloss, um die letzten Unreinheiten auszuschwitzen. Danach unterzog er sich einer gewissenhaften Reinigung mit feinster Olivenseife und auf Flaschen gezogenem Quellwasser aus den Schweizer Alpen. Zum Schluss rieb er sich mit flauschigen Handtüchern aus weißer ägyptischer Baumwolle trocken.
Auf seinem Bett lag nagelneue, maßgeschneiderte Kleidung bereit, die er für diesen speziellen Anlass aus London bestellt hatte. Das weiße Hemd bestand aus feinster, einfädiger Seide, wie man sie nur im mittleren Kokon des Maulbeerspinners findet, von Hand gefärbt und gesponnen. Das Gewebe war so hauchzart, dass es nur einmal getragen werden konnte. Dazu blütenweiße Bundfaltenhosen aus erlesenem belgischen Leinen. Statt regulärer Schuhe erwarteten ihn weiße Satinslipper, denn er würde heiligen Boden betreten. Kinn- und Schnauzbart waren sauber gestutzt, das Haar akkurat geschnitten, die Nägel blitzten frisch manikürt. Am Handgelenk trug er eine Designeruhr mit Stahlarmband, das mit einem winzigen Schlüssel gesichert wurde. Sein Zeitmesser für den Countdown.
Zum Schluss steckte er sich je eine Derringer-Pistole mit Perlmuttgriff in die Hosentaschen, jede Waffe mit nur einem Projektil, das aus kurzer Schussweite jedoch tödlich war. Doch das reichte.
Er war bereit.
Candice starrte Glenn ungläubig an. »Um Gott zu erschaffen?« »Der Katechismus, den meine Mutter mich gelehrt hat. Ich erinnere mich wieder: ›Wer sind die Alexandrier? Wir sind Sammler von göttlichem Wissen. Zu welchem Zweck? Um Gott auf die Erde zu bringen. Wie werden wir das erreichen? Wenn alles Wissen zusammengetragen ist und wir Ihn
kennen,
wird Gott geboren.‹ Candice, diese Menschen glauben, dass sie Gott erschaffen werden. Das ist der Zweck dieser Anlage hier.«
»Wie können
sie
Gott erschaffen? Gott hat
uns
doch erschaffen!«
Während sie weitergingen, setzte Glenn seine Ausführungen fort: »Gemäß dem Glauben der Alexandrier sind wir nie erschaffen worden, sondern einfach aus dem Urstaub im Universum entstanden. Wir sind aber nicht etwa durch Zufall entstanden, sondern haben uns zu einem bestimmten Zweck entwickelt – um Gott zum Leben zu erwecken. Ohne uns würde Er nie werden. Das ist die große Aufgabe des Ordens.«
»Wie soll das geschehen?«
»Wenn alle Bücher und Schriften, alle Erkenntnisse und Visionen zusammengetragen worden sind – wenn die Menschheit alles weiß, dann wird sie Gott kennen, und Er wird geboren.«
»Aber Gott existiert doch bereits im Alten Testament. Wie können die Alexandrier das übersehen haben?«
»Wenn ich mich richtig erinnere, hat mein Vater mich einmal auf eine bestimmte Bibelstelle hingewiesen, nämlich auf Moses und den brennenden Dornbusch. ›Ich bin, was ich bin‹ ist nicht korrekt übersetzt. Im original Hebräischen heißt es, ›Ich werde sein, der ich sein werde‹. Gott wollte Moses damit sagen, dass Er im Prozess des Entstehens begriffen sei, deshalb sprach Er von sich im Futur. Auch Jesus bediente sich des Futurs, als er die Ankunft Gottes erwähnte. Beim Gebet sagte er zu seinem Vater ›dein Reich komme‹. Die Alexandrier haben sogar ihre Festung in den Pyrenäen Schloss de-Dieuvenir genannt.«
»Schloss der Ankunft Gottes«, murmelte Candice betroffen.
Eine neue Treppe tat sich vor ihnen auf. Sie führte nur nach unten.
Ihre Schritte hallten von den Steinwänden wider, als Glenn fortfuhr: »Es muss mit dem Gesamtbewusstsein zu tun haben. Vor hunderttausend Jahren gab es gerade mal eine Hand voll menschlicher Wesen auf der Welt, die sich erst allmählich ihrer selbst bewusst wurden, geschweige denn einer übergeordneten Macht. Heute aber sind wir sechs Milliarden denkender, aufgeklärter Menschen auf der Welt. Als wir noch in Höhlen lebten, gab es untereinander keine
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