Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
der Tür zur Werkstatt stand und mich umschaute. So hatte ich auch vor Jahren empfunden, als ich mich aus einem schwarzen Tunnel der Verzweiflung und des Kampftrinkens, in den ich nach dem Tod meiner Frau geraten war, hervortastete und zufällig in Charlies Werkstatt gelandet war.
Holz, das meiste noch aus einer Zeit, die frei von Sorge um die Zukunft war, und das es heute so gar nicht mehr gibt, mehr Holz, als Charlie je hätte verarbeiten können, selbst wenn er noch ein weiteres Leben vor sich gehabt hätte, lehnte mit einem Aufkleber an der Seite versehen an den Wänden. Das Kostbarste lag auf den Dachbalken unter dem großen Dachfenster. Das Holz da oben nannte Charlie nur »die Bank«. Die Werkstatt verfügte über drei Hobelbänke, keine gewöhnlichen, sondern von Charlie selbst gebaut: 120 Jahre altes Eukalyptus-Holz, eine 18-Zoll-Spannzange von Emmert an jedem Ende, eine Reihe mit Messing ausgekleideter Bankhakenlöcher in zwölf Millimeter Abstand, Bankhaken aus lignum vitae. Dahinter die Hobel, die in ih ren Fächern auf der Seite lagen: Daumenhobel, Blockhobel, Bankhobel in allen Größen, Hobel für Rundungen, Hobel für Winkel, Profilhobel, Doppelhobel. Darüber aufgehängt waren die Schabhobel und Ziehmesser. Daneben standen die Sägen senkrecht in ihren Steckschlitzen zwischen zwei Schränken voller Meißel und Schnitzwerkzeug und einem Schrank mit Mess- und Zeichen-Werkzeugen.
An der Wand rechter Hand standen die Regale mit den Schraubzwingen: unten auf dem Boden die riesigen Mons-ter-F-Zwingen; darüber die etwas kleineren Balkenzwingen; im nächsten Fach die normalen Schraubzwingen, die Infanterie des Tischlerhandwerks, Dutzende in jeder Größe; dann die Rahmenzwingen, die Federzwingen, die G-Zwin gen, die alten Holzzwingen, die Charlie am liebsten mochte, und biegsame hölzerne Abstandshalter für Plattenzwingen, nach Länge sortiert. Schließlich ein Sortiment verrückter Spannwerkzeuge, von denen Charlie viele selbst erfunden hatte, um spezielle Probleme zu lösen.
Hinten in der Werkstatt standen die Maschinen: eine Schweizer Formatkreissäge, eine alte deutsche Tischkreissäge, eine 24-Zoll-Dickenhobelmaschine, eine Standbohrmaschine und eine fünfzig Jahre alte englische Drehmaschine. Alle Maschinen von Charlie waren aus Gusseisen, solide, verlässlich, da gab es kein Schwanken, kein Spiel, keinen Pfusch, gut eingestellt und so sauber gehalten wie Museumsstücke.
Ich stopfte den Ofen voll mit Papier und Hobelspänen und kleinen Holzabschnitten, und ein Streichholz brachte ihn zum Summen. Gegen acht Uhr hatte ich die vier kleinen Tischchen aus dreißig Jahre alter amerikanischer Kirsche geleimt und sie mit von Charlie konstruierten Eckzwingen versehen, die die Winkligkeit garantieren sollten. Die Tischchen waren nach Charlies Entwurf gestaltet, überaus schlicht, und zogen ihre Eleganz aus dem Holz, den sich verjüngenden langen schmalen Beinen und der dünnen schwarzen Linie aus Ebenholz, die unter den Tischplatten eingelassen war.
Ich kochte Tee. Dann fing ich, ohne jegliches Selbstvertrauen, damit an, die Kanten der Tischplatten mit dem hölzernen Profilhobel abzufasen, den Charlie aus seiner umfangreichen Sammlung dafür ausgewählt hatte. Die meisten Werkstätten benutzten Schwingschleifer für diese Arbeit. Charlie war jedoch von einem unergründlichen Hass auf Schwingschleifer erfüllt. »Schleifer«, hatte er einmal gesagt, »Schrott. Sich drehender Schrott. Und was können die, was ein Hobel nicht kann?«
»Was immer er auch macht«, hatte ich gesagt, »das macht er schnell.«
»Mr. Eilig«, hatte Charlie geantwortet, »Mr. KleinesTelefon-in-meiner-Tasche. Man benutzt eine Maschine, wenn die Arbeit per Hand zu schwer ist. Oder zu langsam. Oder wenn die Maschine es besser macht.«
Ich hatte die Kanten fertig, stolz auf mich selbst, und war gerade dabei, die letzte Tischplatte mit der frisch geschärften Ziehklinge abzuziehen, als Charlie eintraf. Er strich mit der Hand über die perfekten Oberflächen der anderen drei. »Das ist doch mal ein Anfang«, sagte er. »Schläfst du gar nicht mehr? Isst nicht mehr, schläfst nicht mehr. Als Nächstes gibst du vielleicht auch noch das andere auf.«
Er ging hinüber, um die Tische zu betrachten, streckte die riesigen Hände aus, um die Schraubzwingen zu kontrollieren.
»Das andere gibt man nicht von selbst auf, das gibt einen auf«, sagte ich. »Für wen sollen diese Tischchen überhaupt sein?«
»Für einen Politiker, irgendeinen
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