Spurlos in der Nacht
geredet und geredet. Und wir wollen das alles hinter uns bringen, es dauert nur seine Zeit.»
Cato Isaksen spürte, wie die Unruhe seine Brust zusammenkrampfte. «Ich muss Ihnen noch eine Frage stellen», sagte er rasch. «Wie ist Helenas Vater gestorben?»
Tage Wolter verstummte. «Warum wollen Sie das wissen?», fragte er dann.
«Wie ist er gestorben», wiederholte Cato Isaksen. «Sagen Sie das einfach.»
«Er hatte Krebs. Er war ein Jahr lang sehr krank, dann ist er gestorben. Ich glaube, es war ganz schrecklich.»
Cato Isaksen wandte sich ab und schaute aus dem Fenster. Vielleicht hatte er sich also doch geirrt. «Ich rufe eigentlich an, weil ich Helena bitten wollte, sich für eine Weile nicht mit ihrem Bruder zu treffen», sagte er zerstreut.
«Warum das?»
«Ach, ich weiß nicht. Ich dachte, dass vielleicht etwas passiert.»
«Ach, und was?»
«Ich weiß nicht so recht.» Cato Isaksen versuchte, sich aus der Sache herauszureden. Er konnte nicht sagen, dass seine Intuition ihn warnte, dass er schon viel zu lange dieses Gefühl hatte. Dass er sie schon viel früher hätte warnen sollen.
«Hören Sie, jetzt brennt mir gerade etwas an», entschuldigte Tage Wolter sich nun. Er hatte einwandfrei nicht die Reichweite dessen erfasst, was der Ermittler ihm hier mitzuteilen versuchte.
«Na gut», sagte Cato Isaksen und beendete das Gespräch.
Die Tür zum Keller war offen. Es war deutlich, dass die beiden Wohnungen auf der anderen Seite des Hauses ebenfalls Zugang zu den Kellerräumen hatten, sie besaßen jedoch eine eigene Treppe. In einem verschlossenen Raum stand eine verrostete Badewanne auf Löwenfüßen. Jede Wohnung hatte außerdem einen Verschlag im Keller. Vier viereckige Käfige aus Maschendraht mit Hängeschlössern an der Tür, vollgestopft mit alten Möbeln, Kartons, Fahrrädern und alten Kleidern lagen hintereinander, wie in Reih und Glied.
An einer Mauer stand ein schöner alter Spiegelrahmen. Cato Isaksen wusste, dass er den heruntergefallenen Spiegel vor sich hatte. Nur der dicke braune Rahmen war noch vorhanden. Am Rand steckten noch einige spitze schmale Scherben.
Der Ermittler sah in diesen kleinen Scherben sein Gesicht. Nase, Mund, Augen. Wie hatte er noch über Solveig Wettergren gedacht? Dass sie sich verkleidete, eine andere war, als sie zu sein vorgab. Dass sie kalt und vielleicht psychisch krank war. Menschen können durchaus nur Werkzeuge sein, von jemandem manipuliert, der seine eigenen Ziele erreichen will.
Ihm kam ein neuer Gedanke. Was, wenn sie allesamt im Grand Hotel saßen? Vielleicht ging seine Fantasie mit ihm durch. Vielleicht saßen Solveig Wettergren, Tulla Henriksen, Helena Bjerke und Alf Boris Moen jetzt in einem eleganten Hotelzimmer in Rokokosesseln und tranken Champagner.
65
Ein spitzer Zweig bohrte sich in Helena Bjerkes Oberschenkel. Sie krümmte sich zusammen, als der Schmerz durch ihre Muskeln jagte. Es nieselte jetzt, aber der Wind hatte sich gelegt. In der Luft hing eine schwere, drückende Wärme. Sie blieb für einen Moment stehen und japste nach Luft. Sie wusste nicht so recht, welche Richtung sie einschlagen sollte. Es fiel ihr schwer, durch die Blätter ihren Bruder zu sehen. Sie hörte seine Schritte auf dem Waldboden. «Warte», rief sie. Er blieb stehen und sie lief zu ihm. Sie bedrängte ihn, ihr doch zu sagen, was passiert sei. Er sagte, das werde sie bald selber sehen können.
«Erst sollst du das selber sehen», sagte er immer wieder und ging weiter. Sie sah Angst und Trauer in seinen Augen. Sie stellte noch weitere Fragen, auf die er keine Antwort hatte, zum Beispiel, wie die Polizei sie hier finden sollte. Er behauptete, auf der Wache angerufen zu haben. Cato Isaksen sei nicht dort gewesen, sein Handy abgestellt, aber die Nachricht sollte ihm ausgerichtet werden, sowie er das Haus betrat.
«Aber es ist Samstagnachmittag», sagte sie. «Vielleicht kommt er heute nicht mehr ins Büro.»
«Die Frau, mit der ich gesprochen habe, wollte versuchen, ihn zu Hause zu erreichen», sagte Alf Boris Moen und ging weiter.
«Ich versuch es auch noch mal. Ich habe ja seine Nummer.» Helena Bjerke durchwühlte ihre Handtasche nach dem Zettel. «Aber beeil dich», sagte ihr Bruder und blieb stehen. «Beeil dich endlich.» Er behauptete, dass weitere Verzögerungen Kathrine vielleicht das Leben kosten könnten.
Ihr fiel ein, dass sie ihr Telefon im Auto vergessen hatte.
«Aber wer ist denn diese Frau, die sie gefangenhält?» Helena war verzweifelt. Sie
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