Spurschaden
Wochenendexkursion in der so weit abgelegenen Region. Eine schwer anzutreffende Spinnenart war der offizielle Grund für diesen Ausflug. In Wirklichkeit wollte man irgendwo in der Pampa nochmal die Sau rauslassen, kurz vor dem Biologieexamen.
Petra gehörte zu den aufgeschlossenen Frauen, die sich für die große wahre Liebe aufbewahrten. Hinzu kam, dass sie auch zu denen gehörte, die nur ohne Brille die entscheidenden wenigen Prozente besser aussahen. Doch da sie ohne diese Sehhilfe so gut wie blind war, bekam das andere Geschlecht ihr unverfälschtes Antlitz nie wirklich zu Gesicht, zeigte daher kein Interesse.
»Was soll ich dir da jetzt schon groß erklären, mein Kind. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dann reden wir nochmal. Außerdem weiß deine Mutter darüber besser Bescheid.«
Das war die Art von Aufklärung, die Petras Vater als weit geschätzter Philosophie-Professor seiner Tochter gegeben hatte. Darauf folgten ein leicht verlegenes Tätscheln auf deren Kopf und die abschließenden Worte: »Das ist wie bei den Tieren.« Damit war dieses Thema endgültig abgeschlossen. Endgültig deshalb, weil ihre Eltern wenige Jahre später – während eines Streitgesprächs über artgerechte Tierhaltung – bei hoher Geschwindigkeit das übergroße Hinweisschild auf der Überholspur nicht rechtzeitig bemerkten und mit dem Auto gegen das dahinter stehende Baustellenfahrzeug krachten. Sie waren sofort tot. Das änderte erstaunlicherweise nichts an der Faszination, die Petra für Fahrzeuge jeglicher Art empfand.
Die zwei Tage nach der Beerdigung ihrer Eltern stattfindende Führerscheinprüfung meisterte sie absolut problemlos, woraufhin einige Verwandte zu dem Trugschluss kamen, die junge Frau hätte ein kaltes Herz. Was diese jedoch nicht wussten, war, dass es sich vielmehr um eine Trotzaktion gehandelt hatte, gemäß dem Motto: jetzt erst recht! Außerdem war sie viel zu intelligent, um irgendwo oder bei irgendetwas durchzufallen.
Nur das eine Mal, an dem besagten Sau-rauslassen-Wochenende ohne Spinnen, in Gesellschaft ihrer Kommilitonen, ja, dieses eine Mal wurde Petras außergewöhnliche Hirnleistung außer Kraft gesetzt. Die Verursacher: Eine widerrechtlich mit Schnaps gefüllte Bierflasche und der sie anfeuernde Studienkollege – »Auf Ex!«
Bevor Petra diesen Schabernack so richtig registrierte, hatte sie die Flasche bereits fast vollständig geleert. Was folgte, war lautes Gelächter, das den Lärmpegel in der Kneipe kurzzeitig deutlich anhob. Dann brachte – nur wenige Minuten später – der stark erhöhte Alkoholpegel Petras über die Jahre verdrängten Sexualtrieb und all die fleischigen Gelüste explosionsartig zur Entfaltung. Verwegen musterte sie die Männer in ihrer Runde nicht länger mit den Augen einer prüden Vegetarierin, und laut schmatzend lutschte sie einige lange Sekunden am Daumen ihrer rechten Hand. Dann rülpste sie, lallte etwas, das sich nach »Scheiiiiß Vegetaaarier … boooorn baaad … pisss späääter, ihr Bumsköpfe« angehört hätte, hätte denn jemand sie beachtet, und verschwand mit überraschend aufrechtem Gang im Dunst der verrauchten Kneipe.
Der 19-jährige Marc Malouve kam gerade aus dem Lieferanteneingang vom »Drachentöter«, als er die junge Frau bemerkte, die mit ihren Händen die runden Konturen seines Dreiradtransporters nachfuhr. Dies tat sie mit etlichen Zentimetern Abstand, ohne den Wagen wirklich zu berühren. Regen hatte ihren Strickpullover regelrecht durchnässt, Wasser tropfte von ihrem kinnlangen Haar – ihre beider Blicke trafen sich.
Wenig später wurden Körperflüssigkeiten ausgetauscht, die verschiedener nicht sein konnten und wohl gerade deshalb zur Zeugung eines hochbegabten Sohnes führten; zu Thomas Schlund.
Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr … Marc drückte das Gaspedal weit durch. Der Lieferwagen Goli kam bei diesen Witterungsverhältnissen nur mithilfe der eng anliegenden Schneeketten voran. Die stark ansteigende Bergstraße zum Kloster war ohnehin schon eine Herausforderung für sich; hinzu kam die Dunkelheit. Doch für sein Alter hatte sich der Kleintransporter gut gehalten. Hier und da waren in den letzten Jahren von Marcs Sohn einige Innereien ausgetauscht worden, aber im Ganzen betrachtet, hatte der Oldtimer seinen Fahrer nie ernsthaft im Stich gelassen.
»Es ist wie bei den Flugzeugen«, hatte Thomas bereits im Alter von sieben Jahren seinem Vater erklärt. »Auf die regelmäßige Wartung kommt es an. Das hat bestimmt auch Opa
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