St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
Feuer brannte in den Augen der Mortmain, und sie stand jetzt direkt vor Madeline. »Könnt Ihr Euch vorstellen, was es heißt, sich ganz allein in einem fremden Land durchschlagen zu müssen? Nachdem man mich vergewaltigt hatte, erkannte ich rasch die Vorteile, die es mit sich bringt, wenn man sich als Jüngling verkleidet.
Das Lebensnotwendige habe ich mir auf die unterschiedlichsten Arten verschafft. Als Schauspielerin bei einem Wandertheater, durch Taschendiebstähle und auch durch Prostitution.
Nur ein Gedanke hielt mich aufrecht: Ich wollte hierher zurückkehren und meinem verstorbenen Vater beweisen, dass ich doch zu etwas taugte; dass es auch mir gelingen würde, die St. Legers auszulöschen.«
»Das tut mir Leid«, sagte Madeline leise, weil sie sich vor dem Wahnsinn in Evelyns Augen fürchtete. »Ihr braucht mich nicht zu bedauern«, erwiderte die Mortmain. »Hebt Euch Euer Mitgefühl für Anatole auf.« Die Erwähnung seines Namens ließ ihr Herz stocken. »Ihr habt keinen Streit mit ihm; denn er hat nichts mit dem Ende Eurer Familie zu tun.«
»Das spielt keine Rolle. Anatole ist ein St. Leger und auch noch das Oberhaupt dieser elenden Familie. Deshalb muss er sterben, genau wie alle anderen aus dieser Brut.«
»Aber Ihr werdet niemals alle St. Legers umbringen können. Höchstwahrscheinlich verliert Ihr dabei selbst das Leben. Bitte, Evelyn, es lässt sich immer ein Weg finden. Nun gut, Roman ist tot, aber das könntet Ihr doch als Notwehr hinstellen ... oder als tragischen Unfall ... Ihr müsst nur von Eurem Wahnsinn ablassen.«
»Warum sollte ich?«, entgegnete die Mortmain mit schneidender Kälte. »Und so gut, wie ich mich bislang aufs Planen verstanden habe, wird es mir auch gelingen, sie alle, einen nach dem anderen, zu beseitigen.« Wenn nur der Irrsinn in Evelyns Augen geleuchtet hätte, wäre Madeline wohl eher damit fertiggeworden als mit der kalten Ruhe, die die Rachsüchtige ausstrahlte. Gab es denn keine Möglichkeit, diese Frau aufzuhalten? »Tut mir Leid um Euch, Madeline. Ich habe Euch wirklich gemocht.«
Warum redete die Mortmain in der Vergangenheitsform? »Doch da Ihr nun schon einmal hier seid, könnt Ihr mir auch von Nutzen sein. Ich schätze, Euer Gemahl wird sich auf die Suche nach Euch machen.«
»Nein, nein, das tut er bestimmt nicht!«, rief Madeline etwas zu hastig.
»Wenn ich mich nicht irre, besitzt er doch diese besondere Gabe, Euch überall ausfindig zu machen, oder?«
»Davon habe ich noch nie gehört.«
»Versucht nicht, mich zu täuschen, meine Liebe. Ich weiß über Anatoles Fähigkeiten bestens Bescheid. Was ich von Roman nicht erfuhr, konnte mir Bess berichten, und umgekehrt.
Dieser Mann stellt eine ganz besondere Herausforderung an mich dar. Wie kann man jemanden vernichten, der einen vermittels seiner Geistesgaben augenblicklich fortschleudern kann?
Man muss ihn überraschen.
Doch wie soll das möglich sein, wenn er des weiteren über eine überragende Wahrnehmung verfügt? Nun ja, ich glaube, wenn Anatole ausreichend abgelenkt ist, funktionieren seine besonderen Sinne nicht mehr so gut. Und wie könnte man ihn ablenken?
Vermutlich mit der Todesfurcht von jemandem, der ihm sehr nahe steht, was?«
Madeline verstand sofort, was die Mortmain meinte. »Oh nein, ich werde mich nicht von Euch als Lockvogel für Anatole missbrauchen lassen!«
Evelyn richtete wieder die Pistole auf sie. »Ich fürchte, meine Teure, Euch bleibt keine große Wahl.«
»Ihr wollt mich erschießen wie Roman? Nur zu, lieber sterbe ich, als Euch meinen Gemahl auszuliefern.«
»Seid nicht albern.«
Madeline machte sich darauf gefasst, von einer Kugel durchbohrt zu werden. Doch nachdem einige Sekunden verstrichen waren, fragte sie sich, warum Evelyn noch nicht abgedrückt hatte? Bei ihm hatte sie nicht gezögert. Bei Roman ...
»Ihr blufft. Die Pistole ist nicht nachgeladen.«
»Wollt Ihr die Probe aufs Exempel machen?«, entgegnete die Mortmain mit einem Lächeln.
»Nachdem Ihr Roman umgebracht hattet, fandet Ihr noch keine Gelegenheit, eine neue Kugel in den Lauf zu schieben!«
Evelyns Gesicht verzog sich zu einer Fratze. »Ihr seid ja ein richtiger Schlaukopf«, knurrte sie. Schon sprang die Mortmain sie an, und Madeline blieb keine Zeit, ihr auszuweichen. Evelyn bekam sie am Arm zu fassen, und die beiden rangen für einen Moment miteinander.
Dann lag Madeline am Boden, da sie gegen die unfassbare Körperkraft der Mortmain nicht ankam. Evelyn holte mit dem Pistolengriff
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