St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
ohne dass sie ihn kommen gehört hatte.
»Ah, ma cherie, was führt Euch denn hierher?« Das war eindeutig Rochencoeurs Stimme. Die junge Frau drehte sich zu ihm um. Seine elegante Kleidung war zerrissen, und die Perücke saß schief auf seinem Kopf. Am schlimmsten aber war die Pistole in seiner Hand, aus deren Lauf Rauch aufstieg. »Yves?«, brachte sie ungläubig hervor. »Nein, meine Teure, da muss ich Euch enttäuschen.« Der Franzose nahm die Perücke ab. »Ich heiße vielmehr Evelyn Mortmain.«
Doch Madeline bekam diese Enthüllung nur am Rande mit; denn sie hatte das Gefühl, der Boden würde ihr unter den Füßen weggerissen. Die Vision des Schwertkristalls bekam mit einem Mal eine völlig neue Bedeutung. Die junge Frau sah entsetzt zu, wie Yves/Evelyn sich das Haar ausschüttelte: eine wilde rote Mähne, genau wie ihre eigene.
»Großer Gott, die Feuerfrau!«
21
Fort von hier, rasch, und so weit wie möglich, drängte eine Stimme in ihr, aber die Beine blieben wie angewurzelt stehen. Madeline konnte nur auf die Person starren, die sie bis eben noch für Yves de Rochencoeur gehalten hatte. Ihr Verstand war noch nicht in der Lage, die Verwandlung des Architekten in diese Frau mit den roten Haaren zu begreifen, deren zerrissenes Hemd den Blick auf Brüste freigab, die von einem Korsett flachgepresst wurden. »Seht mich nicht an, als wär ich ein Gespenst«, knurrte Evelyn, und jeglicher französische Akzent war aus ihrer rauchigen Stimme verschwunden. »Ich bin eine Frau genau wie Ihr, wenn auch nicht mit solcher Anmut gesegnet. Doch wir Mortmains waren noch nie für unsere Schönheit bekannt.«
»Aber... aber ich dachte, alle aus Eurer Familie wären tot!«
»Mir scheint, da war bei den St. Legers der Wunsch der Vater des Gedankens«, erwiderte Evelyn erheitert. Sie kam ihr näher, und Madeline wich zurück. Doch die seltsame Frau schritt an ihr vorbei und blieb vor dem Mann stehen, der auf dem Weg in seinem Blut lag. Roman! In ihrem Entsetzen hatte Madeline ihn völlig vergessen. Sie musste ihm irgendwie helfen, auch wenn ihr Verstand ihr sagte, dass sie nichts mehr für ihn tun konnte.
Als Evelyn ihn rau in die Seite trat, rührte Roman sich nicht mehr. Die Mortmain lächelte befriedigt. »Ich glaube, jetzt muss ich mich um einen St. Leger weniger kümmern.«
»Ihr habt ihn getötet?«
»Mir blieb wohl keine Wahl. Roman kam hinter mein Geheimnis, geriet in Wut und griff mich auf eine Weise an, wie sie einem Gentleman einer Lady gegenüber nicht geziemt.« Sie lachte keckernd. »Seltsam, nicht wahr? Seit ich in dieses Land zurückgekehrt bin, fürchtete ich mich vor den unheimlichen Fähigkeiten der St. Legers. Und ausgerechnet derjenige von ihnen, der über keine solche Gaben verfügte, musste mich enttarnen.«
Madeline erschauerte. Evelyn sprach so gelassen, als säßen sie in ihrem Haus beim Tee zusammen. Wie hatte sie die Vision im Kristall so falsch interpretieren können. Hierher zu kommen, war ein großer Fehler gewesen. Anatole, der sie schon suchte, würde über kurz oder lang Lost Land erreichen und womöglich sein Leben verlieren. Madeline geriet in Panik. Sie musste von hier fort, ihren Mann suchen, ihn warnen und - nein, das wäre genau das Falsche. Vielmehr sollte sie alles daran setzen, Evelyn von ihm fern zu halten. Vielleicht war es ihr ja sogar möglich, die Mortmain zu überwinden ...
Madeline zwang sich zum Nachdenken, was ihr jedoch nicht leicht fiel, da die andere Frau jetzt auf sie zu kam und die Pistole auf sie richtete.
»Und jetzt, meine Liebe, seid bitte so gütig, mir zu verraten, was Euch hierher geführt hat.«
»Ich ... ich bin meinem Mann weggelaufen.«
»Da erzählt Ihr mir nichts Neues. Jeder Bauerntölpel im
Umkreis von vielen Meilen kann ja von nichts anderem
mehr reden, als dass dem Schrecklichen Lord die Frau
durchgebrannt ist. Das erklärt aber noch nicht, was Ihr ausgerechnet in Lost Land wollt.«
»Ihr sagtet, Ihr würdet mir helfen, wenn ich je aus Cornwall fort wollte.«
»Ja, das ist richtig, aber wie Ihr unschwer begreifen werdet, seid Ihr zu einem höchst ungelegenen Zeitpunkt hier erschienen.«
»Dann sollte ich mich vielleicht woanders nach Hilfe umsehen.«
Evelyn lachte schrill.
»Oder noch besser, wir gehen zusammen«, beeilte sich Madeline hinzuzufügen. »Ihr wollt doch sicher auch von hier fort, nun, da Eure Maskerade aufgedeckt ist. Wir könnten ein Boot suchen, das uns nach Frankreich übersetzt.« Nach einer kleinen Pause
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