ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
ihm direkt ins Gesicht. »Darf ich es jetzt auspacken?«, fragte sie.
»Vielleicht solltest du damit bis nach dem Abendessen warten«, schlug Leonard vor. »Oder womöglich sollte ich es einfach bis zum nächsten Jahr behalten.« Lynn schob ihre Unterlippe vor und schmollte, woraufhin Leonard die Augen verdrehte. »Wenn ich mir ansonsten den ganzen Abend dieses Gesicht ansehen muss, kannst du es meinetwegen jetzt schon auspacken.«
Lynn klatschte fröhlich in die Hände und wandte sich dem Sofa zu. Als sie nach dem Paket griff, bemerkte sie den Umschlag, der unter der Schleife steckte. Darauf fand sie ihren Namen, der in Leonards krakeliger, kaum lesbarer Schrift geschrieben war. Sie öffnete ihn und zog eine Karte heraus. Auf der Vorderseite befand sich die Zeichnung eines Pferdes mit einem Schild um den Hals, auf dem die Worte »Alles Gute zum Geburtstag« prangten. Darunter stand: »Die Zeit vermag dich nicht einzuholen.« Sie klappte die Karte auf und fand eine jüngere Version des Pferdes mit langen Wimpern vor, unter dem die Worte »Für eine schöne Stute, die noch immer aussieht wie ein Fohlen« standen. Darunter hatte Leonard »Liebe Lynn, deine Freude und dein Strahlen sind eine Inspiration« geschrieben. Die Worte rührten sie. Sie lehnte sich vor, ging auf die Zehenspitzen und küsste Leonard auf die Wange.
»Ich bin nicht sicher, ob ich eine Inspiration oder ein Fohlen bin«, meinte sie, »aber diese alte graue Stute weiß deine Worte zu schätzen.« Lynn war mittlerweile fünfundvierzig. Um ihren Mund und ihre Augen herum hatten sich Falten gebildet, und in ihrem Haar waren graue Strähnen aufgetaucht. Bis vor Kurzem hatte sie die verräterischen Haare stets ausgerissen, doch als sie immer zahlreicher geworden waren, hatte sie beschlossen, die Jahre einfach mit Stolz zu tragen.
»Du bist weder alt noch grau und immer noch hübsch«, sagte Leonard. »Und du inspirierst die Menschen wirklich.«
Lynn zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »aber es freut mich, dass du das so siehst.« Sie trat auf ihn zu und umarmte ihn. Leonard musste es nicht sagen, denn Lynn wusste, dass er mit seinen Worten auf ihr Leben nach Phils Tod anspielte. Anfangs war es schwierig gewesen und manchmal war es das auch jetzt noch. Sie hatte Phil geliebt, und sie waren sehr lange zusammen gewesen. Sein Tod lag nun bereits drei Jahre zurück und mittlerweile fiel es ihr am schwersten, zu akzeptieren, auf welche Art er gestorben war: erschossen auf einem Schlachtfeld, Tausende von Kilometern von zu Hause entfernt. Sie versuchte, Trost in der Tatsache zu finden, dass sein Tod in der Schlacht von Portmagee dabei geholfen hatte, Irland von den Nazis zu befreien. Zwar hatte dieser Sieg es den Alliierten ermöglicht, die Kontrolle über Großbritannien zurückzuerlangen, doch wütete der Krieg noch immer, und manchmal machte ihr die Sinnlosigkeit von Phils Tod zu schaffen.
Aber wie so oft schob Lynn all diese Gedanken nun beiseite. »Weißt du, was mich jetzt wirklich inspirieren würde?«, fragte sie Leonard.
»Dein Geschenk auszupacken?«, erwiderte er.
»Gute Idee«, sagte Lynn. Sie legte die Karte auf die Armlehne des Sofas und griff nach dem Paket. Als sie versuchte, das Band zu entfernen, bewegte sich die Kiste. »Es ist schwer«, stellte sie fest. »Was kann das nur sein?« Sie zog das Band ab, fand eine umgeknickte Stelle des Papiers und riss es ebenfalls ab. Die Schrift auf der Pappkiste verkündete, dass sich darin grüne Erbsen befanden. »Du schenkst mir Erbsenkonserven?«, fragte sie.
Leonard zuckte mit den Schultern. »Wenn sie dir nicht gefallen …«
Verwirrt öffnete Lynn die Kiste. Im Inneren fand sie jedoch keine Dosen voller Gemüse, sondern massenhaft zerknülltes Zeitungspapier vor. »Was …?«, entfuhr es ihr. Dann fing sie an, sich durch das Papier zu wühlen und die einzelnen Knäuel auf den Boden zu werfen. Als sie das meiste davon aus der Kiste entfernt hatte, entdeckte sie darunter ein Paar roter Ziegelsteine. Zwischen ihnen lag ein weiteres in Papier eingewickeltes Päckchen, das kleiner als ihre Hand war. »Was ist das?«, fragte sie, nahm es heraus und prüfte das Gewicht. Es fühlte sich sehr leicht an.
»Das müssen wohl einzeln verpackte Erbsen sein«, meinte Leonard grinsend.
»Schon klar«, erwiderte Lynn. Sie riss das Papier ab und fand ein flaches dunkelblaues Kästchen vor, auf dem in silbernen Buchstaben das Wort
Wintannas
stand. Sie hatte den Namen noch nie gehört.
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