ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
Ängste, die ihn nach Memory Apsû gebracht hatten, völlig unbegründet zu sein. Denn selbst wenn er in dieser anderen Zeitlinie eines natürlichen Todes gestorben war, hatte er in seiner ursprünglichen Zeitlinie überlebt. An seinem nächsten Geburtstag würde er siebenundsechzig werden.
McCoy fühlte sich ein wenig besser, war mit den Ergebnissen seiner Nachforschungen aber noch nicht vollständig zufrieden. Also kehrte er zu den ursprünglichen Suchergebnissen zurück und ging sie weiter durch. Nach einer Weile kam er auf die Idee, nach seinem Namen in Kombination mit den Begriffen
Doktor, Dr
. oder
Arzt
zu suchen. Er erhielt weniger als fünfzig Ergebnisse, die er eines nach dem anderen öffnete.
Im neunten Eintrag fand er einen Artikel auf der Titelseite der
Greenville Journal Gazette
vom 8. September 1955 unter der Schlagzeile N AZIFLUGZEUG IM L ANDESINNEREN A BGESCHOSSEN . Der Untertitel lautete S CHÜTZE T ÖTET K LEINSTADTARZT . McCoy begann zu lesen.
Hayden, SC
– Gestern wurde über der kleinen Stadt Hayden westlich von Greenville ein deutscher Messerschmitt-Kampfflieger von amerikanischen Streitkräften abgeschossen, als sie ein Geschwader aus zwanzig Flugzeugen der Achsenmächte verfolgten. Quellen des Militärs glauben, dass die feindlichen Maschinen auf dem Flugzeugträger
KMS Seydlitz
in die Vereinigten Staaten gebracht wurden, von dem aus sie dann in eine der vielen verlassenen Gegenden Georgias flogen. Zurzeit ist noch nicht bekannt, wie viele Naziflugzeuge sich im amerikanischen Süden befinden, aber dreizehn der gestern entdeckten zwanzig Maschinen wurden abgeschossen, die meisten in Tennessee. Die übrigen sieben zwang man zur Landung, und die Piloten und Schützen an Bord nahm man gefangen.
Das deutsche Flugzeug, das über Hayden abgeschossen wurde, stürzte in einem Baumwollfeld ab, wodurch der Pilot getötet und der Schütze schwer verletzt wurde. Ein ortsansässiger Arzt, Leonard McCoy, versuchte, den verletzten Deutschen zu behandeln, doch der Flieger stach mit einem Messer auf ihn ein und tötete ihn. Der fünfundsechzigjährige Dr. McCoy hinterlässt seine Frau Lynn …
Lynn!
McCoy sprang auf die Füße und warf dabei den Stuhl um, auf dem er gesessen hatte.
Lynn!
, dachte er wieder.
Lynn Dickinson
.
Lynn
McCoy.
Die Erinnerungen überkamen ihn, und die Masse dieser bisher unbekannten Jahre erdrückte ihn wie eine Lawine und drohte, ihn unter dem bloßen Gewicht ihrer Existenz zu begraben. Er taumelte rückwärts, seine Beine verfingen sich in den Stuhlbeinen, und er fiel auf den harten Boden. Er stöhnte auf, als er auf die unnachgiebige Oberfläche aufschlug und auf seiner rechten Schulter landete. Er rollte sich auf den Rücken und sah zum Monitor der Computerstation hinauf. »Lynn«, sagte er laut. Seine Stimme war mit mehr Gefühlen erfüllt, als er benennen konnte.
Der Raum um ihn herum verschwamm und wurde vom Anblick verlorener Erinnerungen ersetzt. Er sah Lynn in ihrem breitkrempigen Strohhut, die ihm vom Haus aus zuwinkte – ihrem und Phils Haus! –, als er die Straße entlanglief. Er sah sie die Stufen der Kirche hinuntersteigen und durch den Stadtpark schlendern. Er sah, wie sie im Wohnzimmer ein Geschenk auspackte.
Und er sah auch noch andere Leute und andere Orte. Gregg Anderson, der den Boden des Saatgut- und Futtermittelgeschäfts fegte. Turner Robinson, der ihm im Gemischtwarenladen eine Zeitung verkaufte. Bo Bartell, der sich anschickte, Benny Russell auf der Church Street zu erschießen.
Und dann folgten noch mehr Leute und weitere Orte. Danny Johnson, der in der Mühle zu ersticken drohte und einen Luftröhrenschnitt benötigte. Doc Lyles, der nicht auf die Wiederbelebungsmaßnahmen reagierte und tot auf dem Boden seiner Praxis lag. Phil Dickinson der in einer Schlange anstand, um in den Krieg zu ziehen, und dann sein Sarg, der darauf wartete, in die Erde hinabgelassen zu werden.
Und in diesem ganzen Gewirr aus Eindrücken gab es immer wieder eine Konstante: Lynn Dickinson. Sie erschien vor seinem geistigen Auge, als ob sie hier bei ihm in diesem Raum unter der Oberfläche des Kolonieplaneten Alpha V stehen würde. Ihre schlanke, durchtrainierte Figur, die großen kastanienbraunen Locken, ihre umwerfenden blauen Augen, ihre eleganten Gesichtszüge: hohe Wangenknochen, volle Lippen …
Du meine Güte!
, dachte McCoy.
Sie sieht aus wie Natira
. Nein, Natira sah aus wie sie. Die Abfolge der Ereignisse seines Lebens – seiner
Leben
– schien sich
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