Stachelzart
konnte. Ich würde schreiben. Ich würde aus Kays und meiner Geschichte einen Roman schreiben und meine ganzen Gefühle in dieses Buch stecken. Und wo würde ich das Buch besser schreiben können, als dort, wo alles begonnen hatte?
Ich fühlte, dass ich das konnte. Ich fühlte, dass sich meine nervende Schreibblockade endlich löste. Ich würde mein Bestes geben und Tag und Nacht schreiben. Und dann würde ich Kay die Geschichte per E-Mail senden. Ja, und dann würde ich hoffen, dass er die Geschichte las. Alles Weitere würde man sehen. Der Titel des Romans stand auch schon fest. Kay hatte ihn sogar selbst ausgesucht. „ Du benimmst dich wie ein Stachel und piesackst mich ständig, aber hinter deinen frechen Bemerkungen bist du in Wirklichkeit ein ganz zartes Wesen“, hatte er gesagt, als zwischen uns noch alles gut gelaufen war und er hatte gesagt, dass man aus unseren Erlebnissen eine Geschichte machen konnte und die würde er „Stachelzart“ nennen. Und genau so würde mein neuer Roman heißen: Stachelzart.
Keine Ahnung, ob Kay und ich danach miteinander sprechen würden? Keine Ahnung, ob meinem Verleger der Roman gefiel? Keine Ahnung, was passieren würde, aber ich wusste, dass es genau das war, was ich tun wollte: Dieses Buch auf Sams Hütte schreiben.
Abgesehen davon konnte ich mir für die nächsten Wochen keine angenehmere Gesellschaft als den netten Sam vorstellen. Ich hatte ihn wirklich sehr in mein Herz geschlossen. Er war ein bisschen der Vater für mich, den ich mir immer vorgestellt hatte. Hoffentlich war es ihm recht, dass ich mich bei ihm einnisten wollte.
Heute Vormittag war ich in aller Herrgottsfrühe aufgestanden und hatte die letzten Sachen in meinen bereits vorbereiteten Koffer gepackt. Viel würde ich nicht benötigen, das letzte Mal auf der Hütte hatte ich ja gar nichts dabei gehabt und auch damit hatte ich mich arrangiert. Da war die Aussicht nun Wechselkleidung, Strom und warmes Wasser zu haben der pure Luxus. Das wichtigste Gepäckstück war auf jeden Fall mein Laptop. Eine Internetverbindung würde ich auf Sams Gipfel zwar nicht haben, aber die lenkte sowieso nur ab.
Autoren neigen gerne dazu, wenn sie gerade nicht weiter wissen, nur mal eben schnell zu gucken, was bei Facebook steht oder was für neue Angebote die Lieblingsshoppingseite gerade bereit hält. Und das kostet natürlich wertvolle Zeit.. So wurde ich wenigstens nicht abgelenkt und konnte mich ganz auf Stachelzart konzentrieren.
Die Fahrt in die Lechtaler Alpen verlief problemlos. Ich hatte keinen Stau und auch das Wetter spielte mit. Draußen war es zwar kälter geworden, aber Regen schien erst mal nicht in Sicht zu sein – ein echtes Bilderbuch-Herbstwetter!
Den letzten Rest der Strecke, den schmalen Weg hinauf zu Sams Hütte fuhr ich im Schneckentempo. Für meine Höhenangst war der enge kurvige Pfad kein wirkliches Vergnügen. Ich passierte die Stelle, an der Veras Wagen liegen geblieben war. Jetzt war es nicht mehr sehr weit. Hoffentlich war der Weg wieder befahrbar. Aber seit unserer Rettung waren ja nun schon fast zwei Wochen vergangen, da waren die Arbeiter aus der Gegend sicher nicht untätig gewesen.
Zwei Wochen , dachte ich. Es ist eigentlich erst zwei Wochen her, dass Kay und ich hier glücklich waren. In den zwei Wochen war so viel passiert, dass es mir vorkam, als wären schon mehrere Monate vergangen. Tatsächlich war der Weg frei und ich konnte ungehindert weiterfahren. Dort, wo die Erdmassen heruntergekommen waren, klafften nun Lücken in dem Waldstück, doch es war aufgeräumt worden. Die abgeknickten Äste und Baumstämme lagen alle ordentlich sortiert auf großen Haufen. Ich war gespannt, wie Sams Grundstück aussehen würde.
Ein paar Kurven später konnte ich Sams Haus und die kleine Scheune bereits erkennen. Das Hanggrundstück war nach dem Erdrutsch etwas geschrumpft, aber Sam hatte bereits einen neuen Zaun gezogen und auch sonst sah es schon sehr aufgeräumt aus. Auch auf seinem Grundstück waren mehrere ordentliche Stapel mit toten Ästen, Zweigen und Geröll aufgeschichtet worden. Sams Land Rover parkte direkt neben der Scheune.
Gottseidank! Also musste er zuhause sein. Ich hatte keinen Plan für den Fall gehabt, dass Sam unterwegs sein würde. Wahrscheinlich hätte ich einfach vor dem Haus gewartet. Lange war er ja zum Glück nie weg, höchstens bei den Nachbarn oder im nächsten Ort zum Einkaufen. Und auch das nur selten, wie er uns erzählt hatte.
Ich stellte meine kleine
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