Stachelzart
natürlich mit anderen Namen, damit es nicht peinlich für mich wurde. Meine Freundinnen waren begeistert von meiner Geschichte und so schrieb ich immer mal wieder kleine Storys, die ich ihnen dann vorlas.
Nach dem Abitur überlegte ich mir, dass ich wirklich Schriftstellerin werden wollte. Denn als Klobrillendesignerin oder Marmeladentesterin würde ich wahrscheinlich keinen Job bekommen. Vera war gar nicht begeistert von dieser Idee. Sie stellte sich für mich ein Studium in BWL oder Jura vor oder zumindest eine Ausbildung zur Bankkauffrau.
Natürlich tat ich nichts dergleichen. Auf Studieren hatte ich überhaupt keine Lust und in einer Bank wäre ich völlig fehl am Platze. Zumal ich mir gar nicht viel aus Geld machte. Ich begann bei einer Firma zu arbeiten, die Betriebsanleitungen für Produkte aus den verschiedensten Produktbereichen verfasste. Natürlich hatte das nichts mit Schriftstellerei zu tun, aber manchmal konnte auch dieser Job recht kreativ sein, wenn mein Chef auf meine Nachfrage zu einem Produkt zum Beispiel antwortete: „Keine Ahnung, wie das funktioniert. Du bist doch kreativ, denk dir einfach etwas aus!“
Zumindest bekam ich auf diese Weise ein besseres Verständnis für Betriebsanleitungen. Wenn ich mir etwas kaufte, die Anleitung las und nichts verstand, wusste ich nun, dass daran auch jemand sehr kreativ geschrieben hatte. Nebenbei kellnerte ich in einer Bar und versuchte meinen ersten Roman zu veröffentlichen. Das gestaltete sich allerdings schwerer als gedacht. Die Verlage interessierten sich nicht sonderlich für eine unbekannte Jungautorin.
So vergingen einige Jahre, in denen ich mich mit meinen Jobs aber immer ganz gut über Wasser halten konnte. Ich hatte auch nicht viele Ansprüche. Meine kleine Einzimmerwohnung am Stadtrand genügte mir völlig. Und ein Auto brauchte ich in Berlin auch nicht unbedingt. Die Hauptsache war für mich, dass ich nicht von Vera abhängig war und nicht mit ihr zusammen wohnen musste, denn bis zu meinem Auszug mit 20 Jahren hatten wir uns fast nur noch gestritten. Vera war mit meinem Leben natürlich alles andere als zufrieden.
„Anna, wie lange willst du denn noch so weiter machen? Wann lernst du endlich etwas Anständiges?“, jammerte sie, sooft wir uns trafen.
„Bis mein erstes Buch veröffentlicht wird. Und dann schreibe ich nur noch Bücher, du wirst schon sehen!“, antwortete ich dann jedes Mal trotzig.
Nachdem ich meinen ersten richtig langen Liebesroman „Zuckersüß“ zu Ende geschrieben hatte und alle meine Freundinnen von der Geschichte total begeistert waren, beschloss ich weitere Absagen von Verlagen nicht mehr einfach so hin zu nehmen. Meine Manuskripte kamen immer wie frisch aus dem Drucker zurück. Sie wurden noch nicht einmal angesehen!
Das wollte ich ändern. Ich überlegte hin und her, was ich tun könnte, um endlich Aufmerksamkeit zu erregen.
Und dann hatte ich eines Tages die zündende Idee.
Ich, Anna Schneider, würde einen Flashmob organisieren. Ich recherchierte, wie man am besten einen Flashmob plant und stellte dann meine Idee auf einer Internetseite für Flashmobs ein.
Zwei Wochen später war es dann soweit. Ich fuhr mit vier Freundinnen nach München und hoffte, dass die Bayern mich unterstützen würden. Und ich wurde nicht enttäuscht. Über einhundert Flashmob-begeisterte Leute hatten sich vor dem Gebäude eines großen Münchener Verlagshauses eingefunden. Meine Idee war, dass auf mein Kommando hin alle Leute sich ihrer Jacken entledigen sollten. Darunter sollten sie Pullover oder Shirts in Bonbon-Farben tragen und zu dem Lied „Sweets for my Sweet“ eine kleine Choreographie tanzen, die ich vorher im Netz veröffentlicht hatte. Dafür hatte ich mir extra einen leistungsstarken Ghettoblaster geliehen, um auch ordentlich Krach zu machen. Zum Schluss wollten wir selbstgemalte Plakate mit der Aufschrift „Gebt 'Zuckersüß', dem Roman von Anna Schneider, eine Chance!“ hoch halten.
Der Flashmob wurde ein voller Erfolg. Während wir flashmobbten, gingen bereits die ersten Fenster des Verlagshauses auf und erstaunte Mitarbeiter betrachteten unser buntes Treiben.
Nachdem wir unsere Vorstellung beendet hatten, rief ein Mann aus dem Fenster: „Und wer ist diese Anna Schneider?“
„Ich“, brüllte ich nach oben. „Ich bin das!“
„Na, dann kommen Sie mal rein.“
Mit wackeligen Knien betrat ich das Gebäude.
Die Dame am Empfang schüttelte missbilligend den Kopf, als sie mich erblickte. Sie
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