Stadt Aus Blut
könnte ich gleich nach Uptown fahren und die Sache hinter mich bringen. Aber so weit bin ich noch nicht.
Ich arbeite mich von einem schattigen Eck zum nächsten vor, bis ich die U-Bahn erreiche, und dann ab nach Hause. Ich muss Evie anrufen und ihr sagen, dass alles in Ordnung ist. Und wo wir schon dabei sind: Ich habe mich nicht gewaschen, seit ich auf dem Gehweg geschlafen habe.
Ich stehe unter der Dusche und telefoniere mit Evie.
– Hey, Baby.
– Geht’s dir gut?
– Klar. Alles bestens.
– Hattest du Ärger?
Massenweise.
– Nein, nein. Terry hat mir geholfen.
– War das in Ordnung, dass ich ihn angerufen habe? Ich wollte keinen großen Wirbel veranstalten, aber nach der Sache mit dem armen Lep dachte ich...
– Nein, gar kein Problem. Du hast alles richtig gemacht.
Wir schweigen für einen Augenblick und hören uns gegenseitig beim Nachdenken zu. Wir haben Neuland betreten. Sie war immer sehr darauf bedacht, nicht in meine Angelegenheiten verwickelt zu werden, ebenso wie ich mich meinerseits immer bedeckt gehalten habe. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass sie mit Terry gesprochen hat. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Wie sie darüber denkt, weiß ich nicht.
Ihre kurzen Fingernägel klicken an die Muschel, als sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischt.
– Ich habe heute frei.
Es ist Dienstag. Da verabreden wir uns normalerweise.
– Ich weiß nicht, Baby. Vielleicht ein andermal.
Mit einem kleinen saugenden Geräusch lässt sie ihre Zunge gegen den Gaumen klatschen. Ich kenne dieses Geräusch: Es bedeutet, dass ich anfange, ihr auf die Nerven zu gehen.
– Also heute nicht. Musst du arbeiten?
– Ja.
– An der Sache, die Leprosy umgebracht hat?
– Evie.
– An der Sache, über die du mir nichts erzählen willst?
– Nicht jetzt, Evie. Okay?
– Und das, obwohl ich Leps Blut von dir gewaschen habe?
– Ich sagte: Ein andermal, Evie.
– Aber wann, Joe? Wann wirst du mir endlich erzählen, was du wirklich tust?
– Einfach. Nicht. Jetzt.
– Nicht jetzt. Habe ich das nicht schon mal irgendwo gehört?
Sie bläst alle Luft aus ihrer Lunge. Es ist das Geräusch, das jemand von sich gibt, wenn er versucht, nicht die Fassung zu verlieren. Evie macht dieses Geräusch, wenn sie ihre schon verloren hat.
– Es gibt Grenzen, Joe. Selbst für ein Mädchen, das nicht mit dir fickt.
Sie legt auf. Kann man es ihr übel nehmen?
Eine weitere Sache, um die ich mich kümmern muss. Eine Sache, die ich gerne an die Spitze meiner Liste setzen würde. Aber das geht nicht. Stattdessen sieht meine Liste ungefähr so aus:
1. Überträger finden.
2. Mädchen finden.
3. Herausfinden, wer mich beobachtet.
4. Terry anrufen.
5. Mich um Predo kümmern.
6. Mit Freundin versöhnen.
Ach ja, fast hätte ich’s vergessen. Am Anfang der Liste sollte stehen: BLUT BESORGEN. Aber wie es im Moment aussieht, ist das Telefongespräch wohl das Einzige, was ich sofort erledigen kann.
– Mann, Joe, ich muss dringend mit dir reden.
– Wir reden ja, Terry.
– Ja, aber am Telefon. Das ist nicht das Gleiche wie eine gepflegte Unterhaltung unter vier Augen, wenn du verstehst.
– Soll ich später vorbeikommen?
– Nein, geht nicht. Ich muss nach Uptown.
– Uptown?
– Über die 110th.
– In den Hood?
– Grave Digga macht wieder mal Stress. Vielleicht kann ich die ganze Sache ein bisschen entspannen.
– Dann morgen Nacht.
– Da bin ich vielleicht auch dort. Ich muss ein Boot nehmen, und der Typ, der mich fährt, kann für den Rückweg nicht garantieren. Und wie die Situation mit der Koalition im Moment aussieht, glaube ich nicht, dass die mich einfach so durch ihr Revier spazieren lassen.
Da hat er recht. Schon in normalen Zeiten würde die Koalition keinen Finger für Terry krumm machen, aber bei dem ganzen Trubel im Moment sollte er es erst gar nicht riskieren, sich auf ihrem Territorium blicken zu lassen. Und wenn sie wüssten, dass er mit Grave Digga reden will...
Der Hood ist eigentlich ein Ableger der Koalition. In den Sechzigern, ungefähr zur selben Zeit, als Terry die Society ins Leben rief, trommelte Luther X alle Schwarzen und Latinos in der Koalition zusammen. Sie spalteten sich ab und nahmen alles oberhalb der 110th in ihren Besitz. Sie handelten mit der Koalition einen Waffenstillstand aus und durften das Gebiet behalten. Obwohl sie der Koalition ein Dorn im Auge waren, kamen sie immer einigermaßen miteinander klar. Bis letztes Jahr. Da rammte
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