Stadt Aus Blut
einfacher gesagt als getan.
Die Jagd nach Blut erfordert Zeit. Du willst dein Opfer töten? Dann musst du es besonders sorgfältig auswählen. Du brauchst jemanden, der nicht so schnell vermisst wird, oder besser noch überhaupt nicht. Wann und wo soll es stattfinden? Auch das braucht Zeit. Man will ja ungestört sein, wenn man jemanden zur Ader lässt. Der menschliche Körper enthält fünf bis sechs Liter Blut. Nur Anfänger und Abenteuerlustige wie das Arschloch, das mich infiziert hat, lassen ihre Opfer nicht vollständig ausbluten. Wenn man fertig ist, hat man eine blutleere Leiche, was ziemlich ungewöhnlich ist und unnötiges Aufsehen erregt. Also muss man sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen.
Aber mal angenommen, man denkt eher so wie ich und will das Töten vermeiden, weil man glaubt, dass es schlecht fürs Geschäft ist. Warum es schlecht fürs Geschäft ist? Die Koalition ist mit Abstand der größte Clan, und Terry geht von mehr als zweitausend Mitgliedern aus. Alle zusammengenommen sind wir wohl viertausend auf der Insel. Die meisten sind nur arme Schlucker, der Bodensatz der Koalition, unabhängige Penner und kleinere Clans wie zum Beispiel die Familie aus Little Italy. Sie müssen sich mit einem halben Liter pro Woche begnügen. Das wären ungefähr zweitausend Liter pro Woche, was etwa dreihundert Menschen entspricht. Nicht mal Brooklyn hat so eine hohe Mordrate. Es ist also in unser aller Interesse, die Zahl der Opfer klein zu halten. Besonders in meinem.
Also geht man jemanden anzapfen. Aber auch das braucht Zeit. Man muss ein Opfer finden, das man abfüllen, unter Drogen setzen oder dem man einfach eins überziehen kann. Vorher muss man es an einen ruhigen Ort bringen – zu dem es einem möglichst freiwillig folgt, vielleicht weil es ihn kennt. Was wiederum bedeutet, dass das Opfer möglicherweise auch dich kennt – was aus leicht nachvollziehbaren Gründen ein erhöhtes Risiko darstellt. Oder man setzt darauf, dass man sich zufällig zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Seitenstraße befindet und dort einem geeigneten Opfer begegnet. Und am nächsten Morgen? Wenn das Opfer kein Junkie ist, wird es sich ganz schön über die Nadelstiche wundern, die sich da plötzlich in seinem Arm befinden. Man muss seine Spuren verwischen – eine gute Vene auf dem Arsch oder in der Achselhöhle. Daher sind Junkies so beliebte Opfer. Man besorgt sich ein bisschen Stoff und wartet ab. Sie drücken sich das Zeug und pennen weg. Unwahrscheinlich, dass sie sich am nächsten Tag noch an dich erinnern, und ein Nadelstich mehr oder weniger wird ihnen auch nicht auffallen. Der Haken daran ist, dass sie so häufig angezapft werden, und wenn man ein Opfer erwischt, das bereits kurz zuvor schon zur Ader gelassen wurde, dürfte es das kaum überstehen.
Manche haben einen freundlichen Spender gefunden, der für sie sorgt. Irgendeinen Renfield oder eine Lucy, denen es nichts ausmacht. Diese Freaks lassen sich freiwillig die Adern öffnen. Ohne Risiko geht das nicht öfter als viermal im Monat, aber es ist besser als nichts. Weitaus besser. Als hätte man seine eigene Kuh, die man nach Belieben melken kann. Es gibt noch andere Möglichkeiten: Blutbanken und Krankenhäuser sind normalerweise immer gut versorgt und nicht abgeneigt, mal was außerhalb der Reihe zu verticken. Ich hab auch so eine Connection, aber bei dem Typen stehe ich schon mit ein paar Mille in der Kreide, und einen weiteren Vorschuss wird er mir wohl nicht geben. Außerdem ist es mit ihm wie mit jedem Dealer. Er ist nie da, wenn man ihn braucht.
Schließlich darf man eins nicht vergessen: In Manhattan wohnen achteinhalb Millionen Menschen. Und wir sind nur vier- oder fünftausend. Da stehen die Chancen denkbar schlecht für uns.
Terry glaubt, dass die Koalition eine eigene Blutbank besitzt. Irgendwo außerhalb der Stadt, so eine Art Auslandskonto. Er meint, dass sie irgendwelche krummen Geschäfte mit Blutbanken im ganzen Land machen und das Zeug dann an ihre Mitglieder verteilen. Der Rest von uns muss sehen, wo er bleibt. Nicht vergessen: achteinhalb Millionen gegen viertausend. Wenn’s hart auf hart kommt, hätten wir keine Chance.
Also scheiß nicht dahin, wo du isst.
Heute Nacht werde ich genau das tun. Scheißen, wo ich esse.
Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich brauche Blut, und zwar schnell. Ein Junkie wäre eine sichere Bank. Aber dazu bräuchte ich erst mal etwas Stoff als Köder, und ich habe nichts. Ich kenne ein paar
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