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Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Peter zu beschützen, dafür zu sorgen, daß ihm nichts geschah. Spielte es eine Rolle, was Virginia Stillman glaubte, daß er tat, solange er tat, was von ihm erwartet wurde? Im Idealfall sollte ein Detektiv ständig in Verbindung mit seinem Auftraggeber bleiben. Das war immer einer der Grundsätze Max Works gewesen. Aber war es wirklich notwendig? Wie wichtig war es, solange Quinn seine Arbeit tat? Wenn es irgendwelche Mißverständnisse gab, konnten sie gewiß aufgeklärt werden, sobald der Fall abgeschlossen war. Er konnte also vorgehen, wie er wollte. Er brauchte Virginia Stillman nicht mehr anzuru­fen. Er konnte ein für allemal auf das orakelhafte Besetztzeichen verzichten. Von nun an war er nicht mehr aufzuhalten. Es wäre Stillman unmöglich, in Peters Nähe zu kommen, ohne daß es Quinn wußte. Quinn zahlte seine Rechnung, steckte sich einen Zahnstocher mit Mentholge­schmack in den Mund und machte sich wieder auf den Weg. Er brauchte nicht weit zu gehen. Vor einer »Citibank«, die vierundzwanzig Stunden in Betrieb war, ließ er sich vom Automaten einen Kontoauszug geben. Er hatte noch 349 Dollar, hob 300 ab, steckte das Geld in die Tasche und ging weiter in Richtung des oberen Stadtteils. An der 57th Street wandte er sich nach links und ging zur Park Avenue. Dort bog er nach rechts ab und ging nach Norden bis zur 69th Street, und dort wandte er sich dem Block der Stillmans zu. Das Gebäude sah aus wie beim erstenmal. Er blickte nach oben, um zu sehen, ob in der Wohnung Licht brannte, aber er konnte sich nicht erin­nern, welche Fenster ihnen gehörten. Die Straße war völlig still. Keine Wagen fuhren, keine Passanten kamen vorbei. Quinn ging auf die andere Straßenseite hinüber, fand einen Platz für sich in einer engen Gasse und richtete sich dort für die Nacht ein.

12

    Eine lange Zeit verging. Wie lange sie genau war, läßt sich unmöglich sagen. Sicherlich Wochen, aber vielleicht sogar Monate. Der Bericht über diese Periode ist weniger voll­ständig, als es der Autor gern hätte. Aber die Informationen sind nun einmal knapp, und er zog es vor, schweigend zu übergehen, was nicht eindeutig bestätigt werden konnte. Da sich diese Geschichte voll und ganz auf Tatsachen gründet, hält es der Autor für seine Pflicht, die Grenzen des Nachprüfbaren nicht zu überschreiten und den Gefahren der Erfindung um jeden Preis auszuweichen. Sogar das rote Notizbuch, das bisher einen ausführlichen Bericht über Quinns Erlebnisse lieferte, ist suspekt. Wir können nicht mit Gewißheit sagen, was mit Quinn während dieser Zeit geschah, denn gerade an diesem Punkt in der Geschichte begann er die Herrschaft über sich zu verlieren.
    Er blieb die meiste Zeit in der Gasse. Sie war nicht unbequem, sobald er sich einmal an sie gewöhnt hatte, und sie hatte den Vorteil, gut vor allen Blicken verborgen zu sein. Von dort aus konnte er das Kommen und Gehen im Hause der Stillmans beobachten. Niemand kam heraus oder ging hinein, ohne daß er sah, wer es war. Anfangs überraschte es ihn, daß er weder Virginia noch Peter sah. Aber viele Lieferanten kamen und gingen ständig, und schließlich wurde ihm klar, daß sie das Gebäude nicht zu verlassen brauchten. Sie konnten sich alles bringen lassen. Und dann begriff Quinn, daß auch sie sich verkrochen und in ihrer Wohnung das Ende des Falles abwarteten.
    Nach und nach paßte sich Quinn seiner neuen Lebens­weise an. Es gab eine Reihe von Problemen, aber es gelang ihm, sie nacheinander zu lösen. Als erstes kam die Frage der Ernährung. Da äußerste Wachsamkeit von ihm gefordert wurde, zögerte er, seinen Posten längere Zeit zu verlassen. Der Gedanke, daß in seiner Abwesenheit etwas geschehen könnte, quälte ihn, und er gab sich die größte Mühe, die Gefahr zu verringern. Er hatte irgendwo gelesen, daß zwischen 3.30 Uhr und 4.30 Uhr morgens mehr Menschen in ihren Betten liegen und schlafen als zu jeder anderen Zeit. Statistisch gesehen waren die Chancen, daß um diese Zeit nichts geschah, am besten, und daher erledigte Quinn in dieser Stunde seine Einkäufe. In der Lexington Avenue nicht weit im Norden hatte ein Le­bensmittelgeschäft die ganze Nacht offen, und jeden Morgen um 3.30 Uhr ging Quinn in raschem Tempo (der körperlichen Bewegung wegen und auch, um Zeit zu sparen) dorthin und kaufte, was er in den nächsten vier­undzwanzig Stunden an Lebensmitteln brauchte. Es zeigte sich, daß das nicht viel war, und mit der Zeit brauchte er immer weniger. Denn Quinn

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