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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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um den Kopf band. Dann legte sie erst ein kleines Kissen hin und platzierte vorsichtig eines der bemalten Gefäße darauf.
    »Wasser holen gehört zu unseren Aufgaben«, erinnerte sie ihre Tochter. »Und wir haben nur noch ganz wenig im Haus. Deine Brüder werden durstig sein, wenn sie zurückkommen.«
    »Warum können sie es denn nicht selbst holen?«
    »Rokia …«
    »Warum gehen wir nicht gemeinsam hin?«
    Zouley begleitete ihre Tochter bis zu der roten Stufe. Von dort aus warf sie einen langen Blick auf den Baum, unter dem der Geschichtensänger und der Priester saßen und lebhaft miteinander redeten. Beide winkten ihr zu, doch dieser Gruß beruhigte sie nicht, sondern schnürte ihr eher den Magen zu. Sie senkte die Augen, beugte sich über Rokia, als wollte sie sich schützend zwischen die beiden Männer und das Mädchen stellen.
    »Ich kann nicht mit dir bis zum Brunnen kommen«, sagte sie zu Rokia. »Aber wenn du dich beeilst, triffst du dort noch deine Freundinnen.«
    Rokia seufzte. Dabei dachte sie nicht so sehr an die Mädchen, sondern eher daran, dass ihre Brüder ihr auflauern könnten.
    Das Gefäß über ihrem langen, dunklen Hals schwankte, als sie am Hogon vorbeiging, und sie hielt den Atem an, als sie seinen Blick auf sich spürte.

    Die Sonne ging unter.
    Ihre roten Strahlen ließen die Felsen der Falaise aussehen, als stünden sie in Flammen, und verwandelte die daran gebauten Kornspeicher in dunkle kegelige Schatten. Die Calao mit ihren roten Schnäbeln breiteten ihre kleinen, gefleckten Flügel aus, um die untergehende Sonne zu grüßen. Und ihre Rufe klangen durch das Tal.
    Rokia stellte das mit Wasser gefüllte Gefäß im Gras ab. Sie hörte von fern das Blöken der Schafböcke und das rhythmische Getrampel der Rinderherde, die gerade von der Weide zurückkam. Der Wind formte kleine Wirbel, die ganz seltsam an ihren Füßen kitzelten.
    »Sand«, stellte Rokia verwundert fest und beugte sich hinunter. Feiner, glänzender Sand rann durch ihre Finger.
    Wüstensand.
    Den hatte es hier noch nie gegeben. Die Wüste begann erst weiter hinten, jenseits der Akazienbüsche. Rokia sah sich um. Von hier aus wirkte der Brunnen wie ein rundes, mit Wasser gefülltes Loch, das von Gräsern und Sträuchern umgeben war. Weiter hinten sprudelte ein kleiner Wasserfall zwischen den Felsen der Falaise hervor und glitt dann lautlos wie eine glänzende Schlange dahin. Die alten Leute im Dorf sagten, früher sei er viel üppiger gewesen, und über ihm hätten viele Regenbögen getanzt.
    Rokia stand auf.
    Von der anderen Seite der Palisade, die das Dorf umschloss, drangen vertraute Geräusche an ihr Ohr. Stimmen, Türen, die geschlossen wurden, Holzscheite, die in den Feuerstellen knisterten.
    Es war gewiss an der Zeit, nach Hause zu gehen. Sie ließ den Sand aus den Fingern gleiten und stellte sich das Wassergefäß auf den Kopf. Dann machte sie sich wieder auf den Heimweg. Bevor sie jedoch das Dorf betrat, wandte sie sich noch einmal um und betrachtete den Baobab, dessen mächtiger Schatten sich vor der Sonne abhob.
    Was wohl aus den Ameisen geworden war?
    Sie hob eine Hand, um dem Baum zuzuwinken, und sie hätte schwören können, dass er ihr auf irgendeine Weise antwortete.
    Dieser Eindruck währte allerdings nur einen Augenblick.
    Rokia erschauerte.
    Und das wurde ihr zum Verhängnis.
    Während sie gerade fasziniert den Schein der untergehenden Sonne bewunderte, machte es plötzlich laut klack! und ein Stein traf das Wassergefäß auf ihrem Kopf. Rokia reagierte blitzschnell und sie schaffte es, das Gefäß im Gleichgewicht zu halten, aber trotzdem liefen ihr zwei eiskalte Rinnsale den Rücken hinunter.
    Sie hörte das unverwechselbare Gelächter ihrer kleineren Brüder, danach schnelles Fußgetrappel.
    »Wartet, ihr kleinen Nervensägen!«, rief sie laut. »Wehe, wenn ich euch kriege!«
    Und betrat lächelnd das Dorf.

DIE NACHT
    Auch über der Stadt aus Sand brach die Nacht herein. Die flachen Dächer der Häuser glänzten im silbernen Schein des Mondes wie Kieselsteine in einem Bach. Der breite Fluss strömte majestätisch an den Hafenanlagen vorbei. Ein leises Rauschen ging durch die Luft, es kam von den festgezurrten Segeln der Boote. Hier und da hörte man einen Hund in den Gassen bellen, wo man in den Fenstern nur den schwachen Widerschein von Kerzenlicht sah. Alle Vordächer waren in den Ösen an den Mauern befestigt, die Fensterläden aus Holz geschlossen und die Eingänge so fest wie möglich

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