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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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wieder zu fragen und brachte ihren Großvater damit erneut zum Lachen.
    »Oder als würde Rokia ihrem Großvater keine Fragen mehr stellen«, meinte Matuké lächelnd.

    Sie warteten, bis die Sonne nicht mehr so vom Himmel brannte, und machten sich am späten Nachmittag erneut auf den Weg. Rokia hatte wieder angefangen zu reden und bestürmte ihren Großvater mit Fragen nach allem, was sie sahen. Wenn Matuké versuchte, ausweichend zu antworten, musste er erleben, wie hartnäckig Rokia sein konnte, bis sie eine zufriedenstellende Antwort bekam. Während sie sich so unterhielten, beobachtete der Griot ständig den Himmel, an dem sich bisher keine unheilvollen Vorzeichen gezeigt hatten, abgesehen von den Fliegenschwärmen, die Napoleon vergeblich mit seinem Schwanz fortzuwedeln versuchte.
    Bei Sonnenuntergang hatten sie die Stadt Tamanè fast erreicht, doch der alte Geschichtensänger zog es vor, noch eine Nacht außerhalb im Freien zu verbringen, damit sie dann am nächsten Morgen bei Tageslicht dort eintreffen konnten. Sie wählten einen Felsvorsprung, unter dem sie ihre Decken ausbreiteten, dann aßen sie etwas von ihren Vorräten und fanden heraus, dass Napoleon nicht nur ganz versessen auf Salz war, sondern auch auf getrocknetes Obst.
    Sie aßen schnell ihre Mahlzeit und sammelten noch ein paar Büschel trockenes Gras, um ihre Lager etwas weicher zu machen. Als sie dann nebeneinanderlagen, spielte Matuké ein wenig auf der Kora , um zu überprüfen, ob sie sich auf der Reise verstimmt hatte.
    Rokia, die ihre Hände hinten im Nacken verschränkt hatte und die Sterne am Nachthimmel betrachtete, seufzte.
    »Bist du traurig?«, fragte sie der Großvater.
    »Ein wenig«, gab sie zu. »Es ist das erste Mal, dass ich so weit fort von unserem Dorf bin.«
    »Und fühlst du dich jetzt allein?«
    »Aber nein! Nur ein wenig merkwürdig: Hier gibt es keine Brüder, die schreien und sich durch die Felder nebenan jagen. Und auch keine Vögel, die auf dem Dach picken. Und keine Ziege, die meckert, keine Schritte im Hof … Wenn all das bedeutet, dass man sich allein fühlt, ja … dann fühle ich mich wohl ein wenig allein.«
    »Merk dir, du bist niemals allein.«
    »Ich weiß. Du bist ja da, Großvater.«
    »Ich meinte nicht mich. Schau nach oben: Du bist nicht allein. Da sind der Mond und die Sterne.«
    Rokia lächelte schwach. »Aber sie sind so weit weg.«
    »Und doch sind sie unser Zuhause. Wir kommen alle von dort.«
    »Von wo?«
    Der alte Geschichtensänger zupfte die Saiten und suchte unter den Tausenden von Sternen, die sich am Himmel abzeichneten, einen heraus, der nicht so hell leuchtete.
    Den zeigte er Rokia. »Von dort. Dieser Stern heißt Po tolo . Und nicht einmal der ist allein: Er hat einen Zwillingsstern, der ihm Gesellschaft leistet, doch wir können ihn von hier unten nicht sehen.«
    »Und woher wissen wir dann, dass es ihn gibt?«
    »Ich weiß es von meinem Lehrmeister, der es wiederum von seinem Lehrmeister hat, und der wieder von seinem, und so war das immer.«
    »Aber könnten sich nicht all diese Lehrmeister irren?«
    »Wenn sie sich irren würden, wären sie keine Lehrmeister.«
    Rokia grübelte ein wenig über diese Antwort nach. Dann fragte sie wieder. »Und was ist ein Lehrmeister?«
    »Das ist jemand, der weiß, wie die Welt in ihrem Innersten funktioniert.«
    »Und wie funktioniert sie?«
    Matuké legte seine Kora beiseite und zeichnete vor sich in die Luft einen großen Kreis. »Es ist wie bei einer Kalebasse in deiner Vorratskammer, in der die Dinge in einer gewissen Weise angeordnet sind, damit sie alle hineinpassen. Manchmal kann der Mensch diese Ordnung ändern, denn er ist das Wichtigste unter den Dingen in der Kalebasse, doch er kann nicht tun, was er will. Er kann nicht dem Wind befehlen, dem Regen oder Sonne, Mond und Sternen.«
    Matuké wartete einige Sekunden, ehe er fortfuhr: »So ist das. Der Mensch ist zugleich Herr und Sklave der Welt, in der er lebt. So wie seine Seele Herrin und Sklavin des Körpers ist, in der sie lebt.«
    »Und was ist die Seele?«
    »Die Seele? Sie ist wie das Öl, von dem ich dir heute erzählt habe. Manchmal, wenn man starke Gefühle empfindet, verlässt sie den Körper, um sich umzusehen, weil sie nicht so genau weiß, was sie tun soll. Und jedes Mal, wenn sie den Körper verlässt, bleibt dieser verwirrt zurück. Dann kehrt die Seele an ihren Platz zurück, und alles beginnt wieder zu funktionieren, bis zu dem Tag, an dem der Körper stirbt. Dann will die

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