Stadt aus Sand (German Edition)
schlugen den Weg Richtung Osten ein, der nach Tamanè hin anstieg.
Kleine Warzenschweine versteckten sich im Gebüsch der Brousse , als sie vorübergingen, sehr zur Freude von Rokia, die noch nie zuvor welche gesehen hatte. Sie stießen auf eine Familie von Oryx-Antilopen mit ihren typischen langen gedrechselten Hörnern und auf zwei Scheckenantilopen, die ihren Weg kreuzten und im gelblichen Gras verschwanden. Auf einem hohen, vereinzelt stehenden Baum sahen sie ein Paar Störche und in der Nähe einen gestreiften Buschbock, der in den Büschen perfekt getarnt war. Pavianhorden rannten schnatternd und kreischend vorbei.
Und Rokia gefiel ein Tier besser als das andere.
Vor ihnen erstreckte sich eine sanft geschwungene Hügellandschaft, deren Regelmäßigkeit hier und da von einem uralten Baum oder manchmal von einem Sumpfloch unterbrochen wurde. Matuké lief langsam vorwärts und schaute oft hinauf zum Himmel, um sich zu vergewissern, dass dort keine schwarzen Geier zu sehen waren. Wenn sie zu einer Wegbiegung oder einer Verzweigung kamen, zeigte er Rokia, wohin sie gehen mussten, und legte großen Wert darauf, dass sie es sich merkte.
Sie liefen den ganzen Morgen und hielten erst an, als die Hitze unerträglich wurde, um unter einer großen weißen Akazie ein wenig getrocknete Früchte zu essen.
»Setzen wir uns hier in den Schatten«, schlug Matuké vor und lehnte sich an den Stamm. »Der Schatten ist voller Gedanken.«
Doch weil er unterwegs bemerkt hatte, dass seine Enkelin wenig gesprochen hatte, fragte er jetzt: »Stimmt irgendetwas nicht, Rokia?«
»Nein, überhaupt nicht. Warum fragst du?«
»Ich habe dich noch nie so schweigsam erlebt«, erklärte der Großvater. »Seit wir aufgebrochen sind, hast du kaum mehr als zwanzig Worte gesagt. Und das war, als wir auf die Warzenschweine gestoßen sind.«
»Die waren großartig.«
»Aber auch gefährlich, zumindest können sie das sein.«
Matuké brach das Brot in zwei Stücke und reichte seiner Enkelin eine Hälfte, nachdem er reichlich Honig darübergeträufelt hatte.
»Hat dir deine Mutter etwa irgendwelche merkwürdigen Anweisungen gegeben?«, fragte der Griot nach, da das Kind weiterhin hartnäckig schwieg.
»Nein, aber … so etwas in der Art.«
»Hat sie dir gesagt, dass du nicht mit mir sprechen sollst?«
»Sie hat mir gesagt, dass ich dich nicht stören darf.«
»Wenn ich ungestört reisen wollte, wäre ich allein aufgebrochen.«
»Das habe ich ihr ja auch gesagt, aber dann habe ich gedacht, dass … na ja …«
»Na ja was?«
»Serou sagt immer, dass die Luft rund um Frauen von unnützem Geschwätz schwirrt, und da habe ich gedacht …«
Matuké schüttelte sich vor Lachen. »So ein Dummkopf! Oh, bei Amma!« Er klopfte sich auf die Schenkel. »Also, aber erzähl niemanden, dass ich dir das gesagt habe, ich verlasse mich auf dich, sonst wird er von den anderen noch aufgezogen, aber … er ist so ein Dummkopf! So ein unglaublicher Dummkopf! Hoffen wir mal, dass er wenigstens gute Ziegelsteine macht.«
Jetzt war es an Rokia zu lachen.
Der Großvater sprach weiter: »Es ist nämlich genau umgekehrt.«
»Und was heißt umgekehrt?«
»Die Worte, die wir jedes Mal benutzen, wenn wir sprechen … die sind wie Öl für das Blut. Und dieses Öl des Blutes ist das Wichtigste, was wir haben. Es kreist in unserem Körper und reinigt uns von allem Bösen. Ohne das Öl des Blutes wären wir wie vertrocknete Bäume. So ist das. Und das Beste ist, dass … die Worte von Frauen viel mehr Öl enthalten als die von Männern.«
»Meinst du das ernst?«
»Aber ja. Das ist allgemein bekannt.«
»Aber warum gibt es dann keine Frauen als Geschichtensänger?«
»Wer hat das denn gesagt?«
»Das sagen alle im Dorf.«
»Vielleicht, weil es nur sehr wenige gibt. Und die Männer hören ihnen nicht so gerne zu.«
»Aber warum?«
»Warum, warum … Ich kann es dir nicht sagen, warum. So ist es eben, Rokia. Es gibt Dinge, die Frauen nicht tun dürfen, zum Beispiel das Rombo spielen, um die bösen Geister fernzuhalten. Und es gibt Dinge, die Männer nicht tun dürfen, wie den Fonio zu schneiden, wenn er reif ist. Das sind die Regeln der Welt. Und man kann nicht so tun, als ob es sie nicht gäbe. Das wäre so, als würde ein Baum jeden Tag kleiner, anstatt zu wachsen. Oder als würde eine Gazelle einen Löwen jagen.«
Rokia hatte verstanden, auch wenn sie nicht mit dem einverstanden war, was sie gehört hatte.
»Aber warum …«, begann sie schon
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