Stadt aus Trug und Schatten
Zwischenzeit sauber machen?«, fragte sie Linus, der neben mir hin und her rutschte, als wäre ihm diese alte Dame ganz und gar nicht geheuer.
»Also, Sie meinen …«, begann er.
»Ganz recht«, sagte sie barsch. »Du findest alles, was du brauchst, auf der Veranda hinter der Küche.«
»Ich soll also wirklich –«
»Er macht das gern«, sagte ich und stieß Linus meinen Ellenbogen in die Seite, damit er aufstand. Verwirrt sah er mich an. Ist die verrückt?, formten seine Lippen. Charmant hilflos stand er mitten im Raum.
»Nein«, flüsterte ich mit zusammengebissenen Zähnen. In seiner Lederjacke, den Markenturnschuhen und der abgewetzt aussehenden, aber in Wahrheit extrem teuren Jeans wirkte er tatsächlich nicht wie jemand, der sich freiwillig die Hände schmutzig machte. Linus, der morgens eine halbe Stunde brauchte, um sein Haar mit Gel in Form zu zupfen, und niemals freiwillig den Müll runterbringen würde. Doch was Madame Mafalda mir zu sagen hatte, interessierte mich brennend. »Geh schon, das hier ist etwas Geschäftliches und ziemlich wichtig … für … meinen Vater.«
»Na gut.«
Kaum hatte Linus den Raum verlassen, räusperte sich Madame Mafalda. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so lange brauchst, um zu mir zu finden. Deine Seele hat dich wohl für cleverer gehalten, als du wirklich bist«, erklärte sie und verschränkte ihre Fleischwurstfinger ineinander. »Fast hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben.«
Ich sog scharf die Luft ein. »Wenn Sie plötzlich erfahren würden, dass es eine Schattenwelt gibt, wenn Sie von einem Tag zum nächsten zur Wandernden würden, sich Schattenreitern entgegenstellen und irgendwie einen dämlichen Stein finden müssten, von dem Sie nicht einmal wissen, wozu er gut ist, wegen dem Sie aber von einem durchgeknallten Unsterblichen bedroht werden, dann würden Sie auch nicht gleich auf eine seltsame Skizze auf einem Stück Papier achten«, sprudelte es aus mir hervor. »Außerdem hatte ich auch noch andere … Probleme«, sagte ich und dachte dabei an meinen Vater und Marian.
Madame Mafalda schwieg, sodass der Nachklang meiner Worte gellend in der Stille hing.
»Ich meine, mein ganzes Leben wurde auf den Kopf gestellt«, murmelte ich.
»Ich wurde an meinem fünfzehnten Geburtstag zur Wandernden. Drei Wochen später rettete ich das Leben deines Vaters«, sagte Madame Mafalda und griff nach einer Illustrierten, die auf dem gekachelten Wohnzimmertisch zwischen uns lag. Gedankenverloren blätterte sie einen Moment lang darin herum, bevor sie weitersprach: »Ins kalte Wasser geworfen zu werden, ist keine Entschuldigung. Weder für Langsamkeit noch für schlechtes Benehmen.«
»Die Einzige, die sich hier schlecht benimmt, sind Sie«, entfuhr es mir. Am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen. Ich brauchte schließlich Hilfe. Und diese Frau, so absurd es mir auch vorkommen mochte, war anscheinend diejenige, von der ich laut meiner Seele selbige erwarten konnte. Vorausgesetzt, ich verärgerte sie nicht. Schon bildeten sich rote Flecken auf Madame Mafaldas Gesicht, die sich auf groteske Weise mit ihrem pinkfarbenen Lippenstift bissen. »T-tut mir leid«, sagte ich kleinlaut.
Die Schwester des Großmeisters nickte. »Du bist schwach«, stellte sie fest. »Aber all unsere Hoffnungen ruhen nun mal auf dir. Leider Gottes kann auch ich daran nichts ändern.«
»Dann helfen Sie mir also?«
»Wobei?«
»Dabei, mich zu erinnern. Ich muss herausfinden, was passiert ist. Und wo ich den Weißen Löwen versteckt habe, natürlich.« Meine Stimme zitterte vor Aufregung.
Doch Madame Mafalda verzog keine Miene. »Ich wüsste nicht, was ich dabei tun könnte«, sagte sie und legte die Zeitschrift zurück auf den Tisch.
»Aber ich dachte … Sie wüssten, wo sich der Weiße Löwe befindet.«
»Nein, das ist nicht der Fall«, sagte sie und schob die Illustrierte auf dem Tisch hin und her, bis sie vor mir lag. Sie hatte eine Seite mit einem Kreuzworträtsel aufgeschlagen, auf der neben dem Tratsch und Klatsch über diverse europäische Königshäuser eine Reise nach Ägypten angepriesen wurde. Plötzlich war ich den Tränen nahe.
»Sie können mir also nicht sagen, wo ich den Stein versteckt habe?«
Madame Mafalda schüttelte den Kopf.
»Aber Sie wissen, warum ich ihn gestohlen und verborgen und anschließend meine Erinnerungen gelöscht habe?« So schnell wollte ich die Hoffnung nicht aufgeben.
»Warum deine Seele das getan hat, verstehe ich sogar noch viel weniger.
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