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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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Biergarten mit verkehrt herum auf den Tischen stehenden Stühlen. Dann wandten wir uns nach rechts und kamen in ein Wohngebiet. Die Häuser hier waren kleiner als die in Steele. Sie besaßen Vorgärten mit immergrünen Hecken in Kniehöhe und Carports. Zurück im Palast hatte ich mir bis zum Aufwachen wieder und wieder die Skizze meiner Seele angesehen und versucht, mir alles einzuprägen. Doch es fiel mir schwerer als gedacht, das Muster aus Linien und Pfeilen nun auf die Wirklichkeit zu übertragen. Zweimal musste ich zwischen mehreren Abzweigungen entscheiden und einmal machte die Straße einen Bogen, von dem ich mir nicht sicher war, ob er nun ein Geradeaus oder ein Abbiegen bedeutete.
    Schließlich blieb ich vor einem Bungalow mit Rüschengardinen und schlafenden Katzen in den Fenstern stehen. Herabgefallene Blätter einer verblühten Blumenampel lagen auf dem Weg zur Haustür verstreut, dazwischen vertrocknete Tannennadeln vom letzten Jahr. In den Beeten rechts und links davon wucherte Unkraut. Im Gegensatz zu allen anderen Häusern in der Straße wirkte dieses, als habe sich seit Monaten niemand mehr darum gekümmert.
    »Ist es das?«, fragte Linus.
    Ich zuckte mit den Achseln. »Vermutlich. Die genaue Adresse kenne ich nicht.«
    »Was sollst du denn für deinen Vater erledigen?«
    »Das ist schwer zu erklären.«
    »Mhm«, machte Linus, doch es klang nicht zustimmend, sondern verwirrt.
    Langsam näherte ich mich dem Eingang, während mein Blick über die schmutzige Fassade und getigertes Katzenfell hinter Glas schweifte. Wonach ich Ausschau hielt, wusste ich selbst nicht. Allerdings durchzuckte mich das Erstaunen wie ein Blitz, als ich das Klingelschild entdeckte.
    »Was ist?«, fragte Linus. »Warum bist du so blass? So wie es aussieht, wohnt hier doch nur eine alte Frau mit Katzen. Oder wer ist diese Mafalda Grindeaut? Eine Kundin deines Vaters?«
    »Na ja.« Ich räusperte mich. »Irgendwie arbeitet sie für ihn.«
    »Im Laden?«
    Ich schwieg. Stattdessen betätigte mein rechter Zeigefinger wie von selbst die Klingel. Von drinnen war ein Miauen zu hören. Dann Schritte. Jemand drehte den Schlüssel im Schloss. Die Tür öffnete sich.
    Madame Mafalda in Farbe sah … anders aus. Greller. Und noch fetter. Ihre Handgelenke, mit denen sie sich auf einen Rollator stützte, hatten den Umfang von kleinen Baumstämmen, und ihre Lippen, auf denen pinkfarbener Lippenstift glänzte, erinnerten an Bockwürstchen kurz vor dem Platzen. Sie trug einen japanischen Kimono mit Blumenmuster und Fellstiefelchen, aus denen ihre Knöchel quollen. Ihre winzigen Augen fixierten mich mit einem herausfordernden Blick, der kurz zu Linus hinüberwanderte und anschließend wieder zu mir zurückkehrte. Madame Mafalda presste die Lippen aufeinander.
    »Kommt rein«, war alles, was sie sagte.
    »Äh«, stammelte ich. Doch Madame Mafalda hatte sich bereits von uns abgewandt. Ihr Hintern streifte an beiden Seiten die Wände des Flures entlang, durch den sie uns in ein Wohnzimmer mit Blümchentapete und bestickten Kissenhüllen führte. Eine Tigerkatze konnte gerade noch rechtzeitig vom Sessel springen, bevor sie sich hineinfallen ließ. Madame Mafalda deutete auf eine samtene Couch, in deren Bezug schätzungsweise zwei Kilo Katzenhaare klebten. Linus warf mir einen angeekelten Blick zu. Dennoch setzten wir uns.
    Eine quälende Minute lang musterte Madame Mafalda mich. Schließlich senkte ich den Blick. Ich wusste nicht, warum, doch es war mir peinlich, der Schwester des Großmeisters in der realen Welt zu begegnen. Noch dazu in Begleitung von Linus, der die Existenz Eisenheims nicht einmal erahnte. Warum hatte meine Seele mich nur ausgerechnet hierher geschickt? Das heißt, hatte sie das überhaupt getan? Vielleicht habe ich mich unterwegs ja doch für eine falsche Abzweigung entschieden, überlegte ich und fragte mich, wie wahrscheinlich es war, dass ich mich verlief und zufällig bei Madame Mafalda landete, die vermutlich außer meiner Familie und Marian die einzige Wandernde weit und breit war. So viele von uns gab es schließlich nicht.
    »Warum bringst du einen Schlafenden her?«, fragte Madame Mafalda so plötzlich, dass ich zusammenzuckte. »Ist er dein Freund?«
    »Ja«, sagte Linus, während ich den Kopf schüttelte. »Aber was heißt hier Schlafender?«
    »Mhm.« Madame Mafalda rieb sich das oberste ihrer Kinne. »Wir haben einiges zu besprechen. Und ich könnte Hilfe mit den Katzenklos brauchen. Würdest du sie in der

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