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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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Holztür gelassen hatte, war jeder Zentimeter Wand von Regalen bedeckt, in denen sich Bücher, Tiegel, Dosen und Reagenzgläser in einem heillosen Durcheinander türmten. Dazwischen lugten Werkzeuge und seltsam geformte Metallgegenstände hervor, von denen manche verdächtig nach Skalpellen aussahen. Etwas Schleimiges schwamm in einem Einmachglas auf einem der oberen Bretter.
    Ich schluckte. War das hier womöglich der Operationssaal eines Wahnsinnigen? Meine Trage jedenfalls stand ziemlich mittig im Raum und erinnerte mich an die ledergepolsterte Liege meiner Hausärztin. Auch der Geruch sprach dafür, wobei der Staub und die Spinnweben zwischen den Regalen nicht gerade von Sterilität kündeten. Und das gedämpfte Licht, das von einer Petroleumlampe unter der Decke ausging, schien nicht unbedingt das einer Arbeitsleuchte zu sein.
    Ein Schaudern durchlief meinen Körper, vor allem weil mir plötzlich auffiel, wie schal und farblos alles um mich herum wirkte. Ausgewaschen und verblichen. Was war das nur für ein seltsamer Traum? Ich sah an mir herunter und bemerkte, dass auch ich jede Farbe verloren hatte. Einen Moment lang starrte ich auf meine grauweißen Hände.
    Ein lang gezogenes Quietschen ließ mich zusammenfahren, als plötzlich die schwere Tür des Labors geöffnet wurde und der alte Mann eintrat, den ich bereits in meinem letzten Traum gesehen hatte.
    »Ah«, sagte er, als er mich sah. »Du bist aufgewacht.« Mit zwei raschen Schritten, die ich ihm in seinem Alter gar nicht zugetraut hätte, war er bei mir. Obwohl er mit seiner bodenlangen Robe und den buschigen Brauen nicht gerade aussah, als habe er in nächster Zeit vor, mein Gehirn zu transplantieren, wich ich zurück bis ans andere Ende der Liege.
    »Wer sind Sie?«, fragte ich mit belegter Stimme.
    »Du hast bestimmt Angst, Flora, das ist ganz normal. Und natürlich verstehst du nicht, was heute mit dir geschehen ist«, sagte der Mann und kam erneut näher. »Ich bin Fluvius Grindeaut und es gibt überhaupt keinen Grund, sich zu fürchten, in Ordnung?«
    Ich rutschte trotzdem weiter zurück. Zu weit. Unsanft landete ich auf dem gefliesten Boden.
    »Hoppla«, sagte der Mann mit dem Bart, während ich mir die schmerzende Hüfte rieb. Dass sich ein Traum so echt anfühlen konnte …
    »Was … ist das hier? Wo …?«, stotterte ich.
    »Bitte, Flora, du musst wirklich –«
    In diesem Moment, gerade als ich mich wieder aufgerappelt und dabei festgestellt hatte, dass ich statt meines Schlafanzugs eine weite dunkle Hose mit passendem Hemd und weiche Lederstiefel trug, erschien aus dem Nichts heraus eine weitere Gestalt. Von einer Sekunde zur nächsten stand sie da, kaum zwei Meter von mir entfernt. Ich erschrak, denn auch diese Person kannte ich bereits.
    Es war Marian. Groß und bleich und genauso farblos wie ich sah er mich an, die Kiefer fest aufeinandergepresst. Er war ähnlich gekleidet wie ich. Betont lässig verschränkte er die Arme vor der Brust. Mit einem langen kritischen Blick musterte er mich. »Flora?«, murmelte er misstrauisch.
    Ich kniff die Augen zusammen, machte noch einen Schritt nach hinten und spürte, wie meine Schultern gegen eines der Regale stießen. Hinter meinem Rücken begann ich nach etwas zu tasten, das sich als Waffe gebrauchen ließe.
    »Bitte beruhige dich, Flora. Wir werden dir alles erklären«, redete der alte Mann noch einmal in beschwörendem Tonfall auf mich ein, bevor er sich zu Marian umwandte und ihn zornig anfunkelte. »Ich hatte dir doch gesagt, du sollst nicht hier auftauchen. Nicht, bis ich mit ihr geredet habe.«
    »Ich bitte um Verzeihung, Meister«, sagte Marian, während meine Hand etwas Weiches, Felliges ertastete, das mich angeekelt zurückzucken ließ. »Ich hätte nicht so lange bei ihr wachen dürfen.«
    »In der Tat«, sagte der Mann und wandte sich wieder mir zu. »Komm, Flora. Wir haben viel zu besprechen und wir sollten es an einem etwas angenehmeren Ort tun.« Er öffnete die Tür und bedeutete Marian und mir, ihm zu folgen.
    Zuerst zögerte ich. Ich misstraute diesen Leuten, aber ich fürchtete mich auch vor diesem finsteren Labor. Und außerdem wäre ich jetzt wirklich gerne aufgewacht. Im Vergleich zu meinem Traum am Mittag dauerte dieser hier entschieden zu lang. Ich versuchte es mit diesem alten Trick, indem ich mich selbst in den Arm kniff, aber außer dass der Schmerz sich überraschend echt anfühlte, passierte nichts.
    Erwartungsvoll stand Marian in der Tür und sah mich an. »Komm

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