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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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Oberarme schmerzten dort, wo Marians Hände sie umfasst hatten, bestimmt bekam ich blaue Flecken. Ich seufzte. Blutergüsse von einem Traum, das war doch abstrus. Was geschah nur mit mir? Nach allem, was ich über Träume wusste, hatte ich jedenfalls nicht das Gefühl, dass dieser hier normal war. Nein, das Gegenteil war der Fall. Ich war in eine verwirrende Traumwelt geraten, die mir beinahe real erschien, obwohl ich längst zu alt war, um an Orte wie diesen zu glauben. Ich wollte auf die Uhr sehen und tastete in meiner Hosentasche nach meinem Handy. Vergeblich natürlich, denn dies war ein Traum. Ein mieser, handyloser Traum.
    Eine Zeit lang blieb ich unschlüssig auf der steinernen Türschwelle sitzen. Vielleicht ist es am klügsten, einfach abzuwarten, bis ich aufwache, überlegte ich, als plötzlich etwas aus der Dunkelheit auf mich zuschoss und mich mit einem Knurren zu Boden riss.
    Spitze Zähne blitzten vor meinem Gesicht auf, fauliger Atem schlug mir ins Gesicht. Es war ein Tier, da bestand kein Zweifel. Und es schnappte nach mir. Panisch wand ich mich unter dem Gewicht des Biestes, das in etwa so groß wie ein Schäferhund war, entkam den vorschnellenden Kiefern und rammte meine Faust in die Flanke des Monsters. Meine Fingerknöchel schabten über den von Hornplatten überzogenen Körper, die echsenhaften Augen des Wesens verengten sich zu Schlitzen. Erneut schnappte es nach mir. Diesmal streiften die nadelspitzen Zähne meine Schulter. Ich schrie auf, obwohl die Wunde nicht tief sein konnte. Warmes Blut sickerte in einem Rinnsal meinen Arm hinab, während das Ding auf meiner Brust sich bereit machte, meine Halsschlagader zu zerfetzen.
    »Filibert! Aus! Komm her!«, ertönte eine Kinderstimme. Tatsächlich ließ das Ungeheuer augenblicklich von mir ab und trabte zu dem Mädchen hinüber, das in einen altmodischen Mantel und eine Fellmütze gehüllt am Ende der Gasse erschienen war. Ächzend rappelte ich mich auf. Als wäre es so zahm wie ein Regenwurm, strich das Monster um die Beine der Kleinen. Sie mochte vielleicht neun Jahre alt sein. Auf ihrer Stirn bildete sich eine Falte, als sie mich sah.
    »Tut … tut mir leid«, stammelte sie, sah dabei aber nicht sonderlich zerknirscht aus. »Ich habe Filibert erst seit ein paar Wochen. Aber er ist selbst für einen Drago ziemlich wild.« Sie griff in ihre Manteltasche und streckte dem Biest zu ihren Füßen die Hand hin. Der Drago, wie sie ihn genannt hatte, schien kurz zu überlegen, ob er sie abbeißen sollte, entschied sich dann aber doch, sich nur das Leckerchen zu schnappen.
    »Dein Vieh da hätte mich fast umgebracht, Kleine«, stieß ich hervor und deutete auf meine Schulter. Ein dunkler Fleck von der Größe eines Handtellers hatte sich rechts über dem Schlüsselbein gebildet.
    Das Mädchen tätschelte dem Ungeheuer den Kopf. »Tut mir wirklich leid. Irgendwie macht er so was andauernd«, sagte es und warf mir einen verschwörerischen Blick zu. »Meine Mutter hat gesagt, draußen vor der Stadt, wo das ewige Nichts beginnt, leben Dämonen und warten auf jeden, der sich bis dorthin wagt. Ich habe schon überlegt, ob Filibert vielleicht von so einem besessen sein könnte.« Die Kleine flüsterte jetzt. »Das wäre ganz schön cool, oder? Finden Sie nicht?« Sie grinste ein Zahnlückengrinsen.
    »Geht so«, sagte ich langsam und wich zurück, als das Biest in meine Richtung sah.
    »Einen besessenen Drago hat jedenfalls keiner«, meinte das Mädchen beleidigt und wandte sich um. »Filibert und ich müssen jetzt gehen. Und Ihre Schulter heilt schon wieder. Ist doch nur ein Kratzer.«
    Noch immer vollkommen perplex presste ich den Finger auf die Wunde, um die Blutung zu stillen, und sah den beiden nach, auch dann noch, als sie schon längst wieder im Gewirr der Gassen verschwunden waren. Ein Monster hatte mich angefallen und gebissen! War ich eigentlich noch gegen Tetanus geimpft? Im Geiste versuchte ich mir die Stempel in meinem Impfpass vorzustellen. Dann schüttelte ich entschieden den Kopf. Verdammt, das hier war ein Traum, mehr nicht. Einer von der beschisseneren Sorte, zugegeben. Und wie es aussah, einer, in dem ich festsaß.
    Ich strich mir das Haar hinter die Ohren und hauchte in meine eisigen Hände. Ein heißer Kaffee wäre jetzt gut, dachte ich und bemerkte kaum, wie ich den Hauseingang verließ und mich aufmachte, diese Stadt zu erkunden, die mir von Moment zu Moment merkwürdiger vorkam. Ich lief los, ohne zu wissen, wohin meine Schritte mich

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