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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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um alles in der Welt ich da tat. Wieso stehst du da mit diesem Typen, den du nicht einmal richtig kennst, und –? Ich beachtete es nicht weiter.
    Stattdessen fanden meine Finger wie von selbst den Weg in Marians Haar, während seine Lippen die Linie meines Halses entlangfuhren und seine Hand meine Taille hinab und über meine Hüfte strich.
    »Du bist da«, flüsterte er.
    »Mhm«, sagte ich und spürte, wie Marian sich im selben Moment versteifte.
    »Verdammt!«, rief er und stieß mich so plötzlich von sich, als habe er sich verbrannt.
    Überrumpelt taumelte ich mehrere Schritte nach hinten, bevor ich mein Gleichgewicht zurückfand. »Was … was ist denn?«, fragte ich und kniff die Augen zusammen. Was hatte er denn auf einmal? Würde er jetzt wieder ausrasten? Ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was für ein Problem hast du jetzt wieder?«
    Marian straffte keuchend die Schultern und brachte noch ein wenig mehr Abstand zwischen uns. Er blinzelte krampfhaft, als müsse er eine plötzliche Benommenheit abschütteln.
    »Ich habe gar kein Problem«, sagte er heiser und räusperte sich. »Vergiss … vergiss einfach, was gerade geschehen ist. Das wollte ich nicht. Tut mir leid.«
    Ich runzelte die Stirn. Noch immer spürte ich die Stelle an meinem Hals, an der Marians Lippen mich liebkost hatten, als würde die Haut dort glühen. »Schon gut«, stammelte ich. »Ich meine, es hat mir gefallen.«
    »Ach ja?« Marian zuckte mit den Schultern. »Aber mir nicht«, erklärte er. »Denn ich habe nicht dich gemeint. Du hast recht, du bist nicht wie deine Seele. Du bist jemand vollkommen anderes.«
    »Aber –«, begann ich verwirrt, doch ich brach ab, weil seine Worte dafür sorgten, dass sich ein stacheliger Knoten in meiner Brust bildete.
    »Es wird nie wieder vorkommen. Lass uns von nun an einfach Freunde sein, in Ordnung?«
    Ich sah ihn an. Freunde? Wollte ich das? War Freundschaft das, was ich für ihn empfand? Vor wenigen Stunden noch wäre ich mir diesbezüglich vollkommen sicher gewesen. Aber nun? Waren es fremde Erinnerungen gewesen, die mich überrollt hatten, oder …
    »In Ordnung?«, wiederholte Marian seine Frage. Es klang ungeduldig.
    Ich senkte das Kinn zu einem Nicken. »Klar«, flüsterte ich.
    »Na dann«, sagte er förmlich. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest? Ich habe mein Dämmerungstraining noch nicht beendet.«
    Ich öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch Marian wandte mir ohne ein weiteres Wort bereits den Rücken zu. Mit langen Schritten eilte er den Flur entlang und war kurz darauf verschwunden.
    Unschlüssig betrachtete ich die Biegung des Ganges, die ihn verschluckt hatte, und wunderte mich, warum ich keine Erleichterung verspürte. Immerhin war die Sache zwischen uns und mit unserer Vergangenheit nun geklärt. Stattdessen fühlte ich mich … zurückgewiesen.
    Ich schüttelte den Kopf. Was ich empfand, war verrückt. Es war lächerlich. Wir kannten uns gerade mal seit zwei Tagen. Und ich hatte im Augenblick nun wirklich genug andere Probleme. Nein, Freundschaft war genau die Art Beziehung, die wir beide miteinander führen sollten, entschied ich und überlegte, ob ich wieder hineingehen wollte, als die Flügeltür des Marmorsaals sich erneut öffnete.
    Dieses Mal war es die Dame, die zornig auf den Gang hinausstürmte. Als sie mich entdeckte, blieb sie abrupt stehen und musterte mich. Ihre Schultern bebten vor Wut, die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Nur ihr Gesicht mit der Maske war noch immer ausdruckslos.
    Eine Minute lang standen wir einander schweigend gegenüber und erneut beschlich mich diese seltsame Vertrautheit beim Blick in ihre blitzenden Augen. Eine Vertrautheit, die beinahe schon unheimlich war, denn sie beschwor ein Gefühl von Geborgenheit in mir herauf.
    Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, die Dame wollte etwas sagen. Verwirrt starrte ich sie an. Die Knöchel ihrer schmalen Handgelenke traten hervor, so fest presste sie die Fäuste zusammen.
    »Oh, dieser ganze Laden hier macht mich noch wahnsinnig«, schnaubte sie und hastete ebenfalls davon, während ich mich an der Wand hinunter in die Hocke gleiten ließ und die Augen schloss.
    »Wahnsinn«, murmelte ich. »Das trifft es im Moment eigentlich ganz gut.«

9
DER ANGRIFF
    Dass jemand in der Schattenwelt nach mir suchte, hatte ich mittlerweile begriffen. Und ja, natürlich erinnerte ich mich an den Späher auf dem Schulhof und an Marians

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