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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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Versicherung, dass jederzeit weitere Schattenreiter in meiner Nähe auftauchen konnten. Die Vorstellung der flackernden und ruckenden Gesichter gruselte mich. Dennoch war mir die Bedrohung bisher wenig real erschienen. Weder hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden, noch, mich verstecken zu müssen. Vermutlich hatte ich deshalb nicht einmal ansatzweise darüber nachgedacht, was ich zu tun hätte, sollte ich das nächste Mal einem dieser Wesen gegenüberstehen. Leider, denn dies sollte sich als Fehler erweisen.
    Der Sonntag begann mit einer verblüffenden Ankündigung. Zwar gehörte Marian zu der Sorte Jungen, die nie etwas über sich erzählten, wenn es sich vermeiden ließ, doch heute war er mit einem Mal wild entschlossen, unsere neue Freundschaft zu festigen und unserer Familie seine finnische Heimat näherzubringen. Mit Letzterem erklärte er meinem Vater, Christabel und mir (ohne mich eines Blickes zu würdigen) jedenfalls, warum er sich ab acht Uhr in der Früh in der Küche einschloss und uns so um das Frühstück brachte.
    Tatsächlich schien er etwas zu kochen. Mal hörten wir ein hackendes Geräusch, dann klatschte etwas auf die Tischplatte und schließlich lief der Backofen. Beinahe fünf Stunden lang. Und noch immer blieb die Küchentür verschlossen, ein Umstand, an dem sich außer mir niemand zu stören schien. Mein Vater nutzte die Zeit, um mit Hingabe die Stifte und Papiere auf seinem Schreibtisch zu ordnen. Christabel lag auf dem Sofa im Wohnzimmer, hatte ihre in Hausschlappen steckenden Füße über die Armlehne gehängt und sah sich Karate Kid an. Nur ich wusste nichts so recht mit mir anzufangen, versuchte es kurz mit Hausaufgaben, hörte ein bisschen Musik, überlegte, ob ich Wiebke anrufen sollte, um ein wenig zu quatschen, und tigerte etwa einhundertmal aus meinem Zimmer, den Flur entlang und wieder zurück.
    Die Küchentür besaß eine Scheibe aus geriffeltem Glas. Man konnte also nicht wirklich hindurchsehen. Allerdings reichte es, um zu erkennen, dass Marian neben dem Backofen saß und etwas auf dem Schoß hielt. Ein Buch vielleicht? Las er? Das war natürlich egal. Unser Austauschschüler und Exfreund meines anderen Ichs kochte für uns etwas zum Mittagessen. Kein Grund, sich davon so beunruhigen zu lassen.
    Eigentlich wusste ich selbst nicht, woher dieses Kribbeln in meinem Magen stammte, das mich in solche Unruhe versetzte. Es war ja nicht so, dass ich befürchtete, Marian würde da drin eine Bombe basteln. Aber … er war immer noch ein Fremder und diese … Sache mit ihm und mir, das, was letzte Nacht zwischen uns geschehen war, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ihm so nahe zu sein, hatte sich gut angefühlt, auch wenn ich heute Morgen beim Aufwachen beschlossen hatte, den Vorfall ebenso wie die Begegnung mit der Dame unter »skurrile Schattenwelterlebnisse« zu verbuchen, die mein wahres Leben nicht weiter beeinflussen würden. Aber es gefiel mir weder, wie Marian sich in meine Welt, meine Familie und meine Küche drängte, noch, welche aufgesetzte Fröhlichkeit er plötzlich an den Tag legte. Fröhlichkeit war etwas, was nicht so recht zu ihm passte.
    Trotzdem gelang es mir schließlich, mich abzulenken, indem ich meine Trainingssachen anzog und an der Ballettstange in der Diele ein paar Übungen machte. Vor allem meine Knöchel hatten es nötig. Fast zwei Stunden lang trainierte ich meine Sprungkraft, während sich der Duft von frisch gebackenem Brot unter der Küchentür hervorschlängelte. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich mittlerweile war. Allerdings nicht hungrig genug für finnisches Essen, wie sich herausstellen sollte.
    Gegen halb zwei rief Marian uns endlich in die Küche. Mit erwartungsvollen Mienen setzten mein Vater, Christabel und ich uns an den Tisch, in dessen Mitte ein glänzender Brotlaib lag. Dazu hatte Marian jedem ein Glas Milch eingeschenkt.
    »Das ist Kalakukko, ein finnisches Nationalgericht«, erklärte er. Sein Gesicht glänzte ebenfalls von der Hitze des Backofens und auf seinem dunklen T-Shirt prangten mehrere Mehlflecken, anscheinend hatte er seine Hände daran abgewischt. Trotzdem (oder gerade deshalb?) sah er einfach umwerfend aus. Ich musste mich regelrecht zwingen, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren.
    »Euer Nationalgericht ist Brot mit Milch?«, fragte ich deshalb schnell und mit einem zugegebenermaßen etwas zu schnippischen Unterton. »Und dafür hast du geschlagene fünf Stunden gebraucht?«
    Marian lächelte, vermied es jedoch sorgsam,

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