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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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wäre, verstehe ich nicht, weshalb wir uns hier Professor Akinoris Kopf zerbrechen sollten. Noch sind das alles nichts weiter als Spekulationen. Wir aber wollen die Situation der Schlafenden verbessern und das erreichen wir ganz bestimmt nicht dadurch, dass wir hier sitzen und reden und von Entwicklungen träumen, die vielleicht niemals eintreten werden.«
    Die Dame erhob sich von ihrem Platz und begann, den Raum zu durchqueren. Ihre Schritte klapperten auf dem Marmorboden. »Das sehe ich ganz genauso. Reden allein bewirkt rein gar nichts«, sagte sie. »Deswegen schlage ich vor, dem Professor eine finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, damit er sich voll und ganz auf das Nichts konzentrieren kann.«
    »Wie hoch müsste eine solche Unterstützung denn ausfallen?«, fragte Fluvius Grindeaut.
    Die Dame stand nun genau in der Mitte der u-förmigen Tafel und wirkte auf mich wie eine Angeklagte vor einem Geschworenengericht. Beinahe verloren sah sie aus, wie sie dort stand, die schmalen Schultern, das dunkle Kleid, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, um zum ehrwürdigen Großmeister aufsehen zu können.
    Sie nannte eine Summe.
    Und im selben Augenblick begriff ich, dass sie ihren Auftritt wohlweißlich inszeniert hatte. Denn anscheinend handelte es sich um eine ganze Menge Geld. Ein Zischen erfüllte den Saal, so viele Wandernde sogen vor Überraschung die Luft ein.
    »Das wäre unser gesamtes Budget für die nächsten zwei Jahre«, stieß eine Frau mit Hut hervor, auf dem sich Blüten in der Farbe von altem Haferschleim türmten. »Was wird dann mit der geplanten Suppenküche?«
    »Wäre es nicht klüger, das Übel an seiner Wurzel zu bekämpfen, statt nur die Symptome zu lindern?«, fragte die Dame in die Runde. Sie sprach noch immer leise. Fast schüchtern hingen ihre Worte im Raum und schickten sich an, die Leute zu überzeugen. Sogar der dicke Suttini wiegte nun nachdenklich den Kopf hin und her.
    Lediglich der Großmeister lachte auf. »An der Wurzel?«, echote er und strich sich über den Bart. »Was ist das überhaupt? Genügt es denn, wenn die Schlafenden nicht mehr für uns schuften müssen? Fängt die wahre Freiheit nicht bereits im Kopf an?« Aus einer Falte seines Gewandes zog Fluvius Grindeaut eine daumengroße Phiole hervor, in der eine schwarze Flüssigkeit schimmerte. »Dunkle Energie«, murmelte er. »Ein paar Tropfen für jeden Menschen würden genügen. Nur ein paar Tropfen.«
    Die Dame reckte das Kinn. »Mit Verlaub, Großmeister, alle Schlafenden zu Wandernden zu machen, ist nach wie vor unmöglich. Dazu würde alle Dunkle Energie dieser Welt nicht ausreichen, selbst wenn Sie jedem Schlafenden nur einen einzigen Tropfen geben würden.«
    Fluvius Grindeaut nickte. »Das ist mir bewusst.«
    Seufzend verstaute er die Phiole wieder in seiner Tasche, während direkt hinter mir jemand zu sprechen begann, dessen Tonfall mir sehr bekannt vorkam: »Nun, vollkommen unmöglich ist es nicht.«
    Ich zuckte zusammen, als sich in der nächsten Sekunde zwei große blasse Hände auf meine Schultern legten.
    »Theoretisch müssten wir nur auf ein paar gewisse Erinnerungen warten«, erklärte Marians Stimme.
    Erschrocken fragte ich mich, wie lange er schon hinter mir gestanden hatte, ohne dass ich es bemerkt hatte. Mein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Er war hier. Es ging ihm anscheinend wieder besser.
    Bisher hatte niemand großartig Notiz von mir genommen, doch nun wandten sich alle Köpfe im Saal in meine Richtung. Selbst die Dame betrachtete mich jetzt genauer. Nein, sie starrte mich an. Ihr Blick glitt mit einer solchen Intensität über meine Gestalt, dass ich ihn beinahe fühlte wie eine Berührung. Ein blitzender Blick aus einem reglosen Maskengesicht. Und dann sah sie mir für einen winzigen Moment direkt in die Augen.
    In meiner Brust breitete sich ein Prickeln aus. Plötzlich kam mir die Dame eindeutig bekannt vor. Ich schluckte. War das eine neue Erinnerung meiner Seele, die sich da in meinem Innersten anbahnte? Ich wusste es nicht. Alles, was ich wahrnahm, waren diese funkelnden Augen und die Gewissheit, sie früher schon gesehen zu haben …
    »Was soll das heißen?«, fragte ich in die Stille hinein. Ich taxierte die Dame. »Und wer sind Sie überhaupt? Warum verstecken Sie sich hinter einer Maske?«
    Meine Worte hallten von den Marmorwänden wider. Die Dame schwieg und auch sonst rührte sich niemand. Marians Griff auf meinen Schultern verstärkte sich ein wenig. Die Frau neben

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