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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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mich anzusehen. »Oh, das ist nicht einfach nur Brot«, sagte er, zückte ein Messer und schnitt den Laib wie eine Torte in Stücke. Unter der Brotkruste kam eine gräuliche Masse zum Vorschein. Ich presste die Lippen aufeinander. Das war tatsächlich nicht »einfach nur Brot«. Es war totes Brot. Eine Mischung aus Brot und einem verwesenden Tier, aus dem die Gedärme hervorquollen. Zumindest sah es so aus. Eine Füllung aus glibberigen Würmern, die sich über- und untereinanderwanden. Als eines der Tortenstücke mit einem schmatzenden Geräusch auf meinem Teller landete, konnte ich nicht umhin zurückzuzucken.
    Marian lachte leise auf. »Es sieht nicht toll aus, aber es schmeckt wirklich gut.«
    »Äh, was ist es denn genau?«, fragte Christabel.
    »Barschfilets mit Schweinespeck in Brotteig«, sagte Marian und klatschte ihr ebenfalls eine Portion vor die Nase.
    Ihre pinkfarbenen Mundwinkel verzogen sich einige Millimeter nach unten. »Ah ja.«
    »Mein Lieblingsessen«, sagte Marian und nahm sich selbst ein ordentliches Stück. »Los, probiert mal.«
    Mein Vater, der ohnehin nicht gerade ein Freund von toten Fischen war, nahm als Erster und Einziger von uns dreien einen Bissen, einen ziemlich kleinen nur, doch es dauerte fast drei Minuten, bis er es schaffte, ihn herunterzuschlucken. Christabel hingegen nuschelte irgendetwas von einer Getreideallergie, während ich sehr vorsichtig meine Gabel in die schleimige Masse steckte und versuchte, mir mit der Milch in meinem Glas Mut anzutrinken. Vergeblich.
    Es lief darauf hinaus, dass Marian ein Drittel des Kalakukkos allein aß, während Christabel unter dem Tisch einen Pizzaprospekt herumreichte. Erst als er selbst aufgegessen hatte, schien Marian aufzufallen, dass unsere Portionen so gut wie unangetastet geblieben waren.
    »Ihr mögt es nicht«, stellte er fest.
    »Vielleicht kann man es einfrieren«, schlug ich halbherzig vor. Der Gedanke, dieses Zeugs in unsere Gefriertruhe zu verfrachten, behagte mir ganz und gar nicht. Im Grunde gehörte es in den Sondermüll und sonst nirgendwohin.
    Marian wiegte skeptisch den Kopf. »Es schmeckt eigentlich nur, wenn es ganz frisch ist«, sagte er und holte eine Schüssel Nusseis aus dem Kühlschrank. »So was isst man hier aber schon, oder?«
    Noch immer würdigte er mich keines Blickes.
     
    Den Nachmittag verbrachte mein Vater damit, seinen Koffer zu packen. Siebenmal. (Er war nicht nur mit der Ordnung auf seinem Schreibtisch ziemlich pingelig.) Natürlich half ich ihm, suchte dieses und jenes für ihn heraus, räumte Dinge wieder weg, die er doch nicht auf seine Vortragsreise mitnehmen wollte, und überzeugte ihn davon, unnötigen Kram zu Hause zu lassen. Schneeschuhe zum Beispiel waren in Berlin ja wohl zu keiner Jahreszeit notwendig, schon gar nicht Ende September. Aber wie gesagt, mein Vater war in solch praktischen Angelegenheiten recht schwierig. Wir brauchten deshalb mehrere Stunden, bis alles für seine dreitägige Reise verpackt war. Die meiste Zeit nahmen dabei seine Hemden in Anspruch, die rechtwinklig und auf Kante zu liegen hatten.
    Und dann, als wir es beinahe geschafft hatten, traf mein Vater eine Entscheidung. »Nein, das gestreifte nehme ich doch nicht mit«, erklärte er. Wir knieten nebeneinander auf dem Wohnzimmerboden und wollten gerade den Reißverschluss des Kofferdeckels schließen. Mit einem einzigen, blitzschnellen Griff angelte mein Vater das unterste Hemd wieder heraus, wobei, wer hätte es gedacht, die übrigen Klamotten in Unordnung gerieten.
    »Oh«, sagte mein Vater und wirkte ehrlich erstaunt. »Die müssten wir noch mal bügeln.« Mit »wir« meinte er mich. Seufzend schaltete ich das bereits abgekühlte Bügeleisen wieder ein.
    Da ich schon seit siebzehn Jahren mit meinem Vater zusammenlebte, konnte mich so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Wer mich jedoch nervte, war Christabel oder besser gesagt ihr Schatten. Denn seit ich den Pizzamann bezahlt hatte, schien sie sich einen Spaß daraus zu machen, unsichtbar durch die Wohnung zu streifen, während ihr Körper vorgab, lesend in der Küche zu sitzen. Andauernd lief sie von Raum zu Raum, manchmal sogar schwebend wie ein Geist oder kopfüber unter der Decke hängend. Gerade so, als wollte sie mir um jeden Preis zeigen, wie wunderbar und leicht es doch war, sich von seinem Schatten zu trennen.
    Mittlerweile war mir fast schon ein bisschen übel von der Absurdität der Situation. Menschen, die grau flackernd um einen herumflogen, so etwas gab es

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