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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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wir schlafen und dabei in der realen Welt sterben, egal, wann, egal, wie, kehren unsere Seelen im Augenblick unseres Todes ein letztes Mal zu unseren Körpern zurück, erklärte Amadé. Danach wird der Körper begraben und die Seele, so heißt es, bleibt beim Versuch, nach Eisenheim zurückzukehren, im Licht.
    Ich dachte an die gleißende Lichtquelle, an der ich jede Nacht vorbeistürzte.
    Es ist so schön warm, nicht wahr? Was dahinterliegt, vermag niemand zu sagen. Ich für meinen Teil hoffe, dass es ein Gott ist, der dort auf uns wartet. Amadé senkte den Blick. Auch der Eiserne Kanzler ist eines Nachts gestorben, vor langer Zeit. Doch seine Seele blieb seinem Körper fern. Aus welchem Grund auch immer, sie kehrte nicht in die reale Welt zurück, sondern blieb im Moment seines Todes einfach hier in Eisenheim. Seither lebt er vollständig in der Schattenwelt, Tag und Nacht. Er ist in ihr gefangen, wenn du so willst. Und er altert nicht mehr.
    Ich legte den Kopf auf die Seite. »Seine Seele existiert also ohne seinen Körper weiter.« Eine Gänsehaut kroch mir über den Nacken.
    So ist es. Doch andersherum funktioniert es nicht. Der Körper kann ohne die Seele nicht weiterleben. Wenn deine Seele hier in der Schattenwelt stirbt, dann tut es auch dein schlafender Körper in der gleichen Sekunde. Amadé sah mich jetzt direkt an. Tränen glitzerten in ihren Augen und ich verstand, was sie mir sagen wollte. Dass sie mich an den Fürsten verraten hatte, um zu überleben. Zu Hause in Frankreich habe ich ein Kind. Seine Seele ist irgendwo in Eisenheim verschollen.
    Sie weinte jetzt.
    Ich legte einen Arm um ihre Schulter und strich ihr das Haar aus dem entstellten Gesicht. »Ist ja gut«, sagte ich. »Ich verstehe das. Ich bewundere dich dafür, wie lange du dich geweigert hast, mich zu verraten, was du erduldet hast, um mich zu schützen.« Meine Stimme klang belegt. Amadé war den Schattenreitern in die Hände gefallen, ein Schicksal, dem ich selbst vor wenigen Stunden nur knapp entronnen war. Ich hätte den finsteren Reitern nicht sagen können, was sie wissen wollten. Ich erschauderte. »Was du getan hast, war sehr tapfer«, flüsterte ich.
    Trotzdem! Amadés Hände ballten sich zu Fäusten. Wäre ich ihnen doch nur nicht in die Arme gelaufen, wäre das alles … Es tut mir so leid.
    »Unsinn«, entfuhr es mir. »Da gibt es nichts, wofür du dich …« Entschuldigen müsstest, wollte ich sagen. Doch in diesem Augenblick ertönte ein Summen, nein, es war eher ein Brummen, das mich aus dem Schlaf riss. Amadés Gesicht verschwamm, ich sah noch, wie sie die Lippen aufeinanderpresste und nickte. Dann erwachte ich und fand mich in meinem Bett wieder.
    Ich blinzelte.
    Es war noch dunkel im Zimmer. Nur das Licht einer Straßenlaterne fiel durch die halb zugezogenen Vorhänge und malte ein stilles Muster auf Wände und Möbel. In der Ferne waren die Autos auf der Hauptstraße zu hören. Verwirrt rollte ich mich auf die Seite und tastete auf meinem Nachttisch herum. 3.30 Uhr zeigten die Leuchtziffern meines Weckers, neben dem mein Handy lag und vibrierte, als würde es gleich explodieren.
    War etwas passiert? Schlaftrunken löste ich die Tastensperre und tippte mich durch das Menü.
    Ich hatte eine SMS bekommen.
    »Vermisse dich«, stand dort im bläulichen Licht der Displaybeleuchtung. »Können wir uns nicht noch einmal treffen und über alles reden? Ld noch immer.«
    Mir entfuhr ein Seufzen. Ld – Lieb dich!
    Und der Absender war Linus.

11
MASKENBALL
    Ich lag auf dem Bett in meinem Zimmer in der Schattenwelt und starrte die Decke an.
    Zwei Tage waren seit meinem Kampf mit dem Schattenreiter vergangen und ich konnte mich nicht länger krampfhaft beschäftigen. Noch immer klebte mir der Geruch des verbrannten Fleisches in der Nase. Was ich wegzuschieben versucht hatte, holte mich nun mit aller Macht ein. Der Hauptbahnhof war für mich mittlerweile zu einem Ort geworden, an dem mir das Atmen schwerfiel, so schwer, dass Wiebke mich in den letzten Tagen auf dem Schulweg schon ein paarmal besorgt gemustert hatte. Zwar war bisher kein weiterer Schattenreiter aufgetaucht, doch dies beruhigte mich keinesfalls.
    Erst nach und nach hatte ich begriffen, was am Sonntag passiert war. Ich hatte jemanden getötet. Langsam war die Erkenntnis in meinen Verstand getröpfelt und seit gestern wuchs meine Furcht von Stunde zu Stunde. Jemand war gestorben, jemand, der auch mit mir nicht zimperlich umgegangen war. Ich war angegriffen worden und es

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