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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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hatte der Tunnel eine Biegung gemacht und nun befanden wir uns in einem weitläufigen Gewölbe, das von marmornen Säulen getragen wurde. Der Raum war so groß, dass ich das andere Ende nicht sehen konnte. Ein kühler Windhauch streifte meine Wange.
    Ich hielt den Atem an, doch nicht nur die Weite des Gewölbes überwältigte mich, sondern vor allem das, was es beherbergte. Denn hier unten in der Dunkelheit, verborgen unter Tonnen von Gestein, wuchs ein Wald. Kein echter Wald natürlich. Oder etwa doch? Ich konnte es nicht sagen. Wie hypnotisiert starrte ich auf das Meer aus Stämmen und Wipfeln, Ästen und Moosen, das sich vor mir erstreckte, farblos und noch dazu … funkelnd.
    Amadé führte mich zwischen Farnen und Pilzen hindurch. Es knirschte unter unseren Füßen, in der Luft hing ein Klirren wie Vogelgezwitscher. Mit den Fingerspitzen strich ich im Vorübergehen über einen der Stämme. Er fühlte sich kalt und glatt an. Überhaupt wirkten die Bäume irgendwie durchscheinend und ich begriff: Der Wald bestand aus Glas. Aus schimmerndem, scharfkantigem Glas. Und doch schien er lebendig, so echt sah er aus. Ein jedes Blatt so fein geädert, die Borke der Bäume bis ins Detail ihrem natürlichen Vorbild nachempfunden … Wie war so etwas nur möglich?
    »Was …«, flüsterte ich.
    Es ist das Alchemielabor meines Vaters.
    Labor? Nach Experimenten, Reagenzgläsern und Formeln, die Blei in Gold verwandeln sollten, sah es hier nun wirklich nicht aus. Obwohl … In einigen Stämmen schien tatsächlich eine Art Flüssigkeit zu blubbern und, ja, die Wurzeln der Bäume waren untereinander verbunden wie Leitungen, Pilze dienten als Ventile, von einem Blatt tropfte etwas in ein Astloch, aus einem Busch stiegen Nebelfäden in die Höhe. Im Zentrum des Gewölbes erhob sich ein riesenhafter Mammutbaum, an dessen häuserdickem Stamm sich einige Zahnräder drehten. Auf einem Tischchen darunter entdeckte ich einen metallenen Helm, unter dem eine Art Bedienungsanleitung hervorlugte. »Gezielte Gedankenübertragung mittels Dunkler Energie«, stand in schnörkeligen Lettern darauf.
    Eine gefährliche Technologie, es ist nicht absehbar, was sie im menschlichen Gehirn anrichtet, erklärte Amadé, die meinen Blick bemerkt hatte. Es gibt sogar ein Gesetz, das den Umgang mit derartigen Apparaturen verbietet. Aber wie du siehst, hält sich nicht jeder daran.
    Ich schüttelte vor Verwirrung den Kopf. »Aber ich bin ganz woanders aufgewacht«, sagte ich. »In einem kleinen Raum, in dem es staubig war. Glibberiges Zeug in Einmachgläsern stand da herum.«
    Wir setzten uns, die Rücken an den Stamm einer Eiche gelehnt.
    Mein Vater mag es nicht, wenn jemand außer ihm hierherkommt. Amadé warf mir einen fragenden Blick zu. Und, was sagst du? Gefällt es dir?
    Ich betrachtete die kristallenen Früchte einer Erdbeerpflanze. »Es ist wunderschön.«
    Amadé nickte.
    Wir lauschten dem Rauschen der Wipfel. Es tat gut, hier neben Amadé zu sitzen. Ich mochte sie. Nach einer Weile räusperte ich mich.
    »Ähm, kann ich dich mal was fragen?«
    Sie hob erwartungsvoll die Augenbrauen.
    »Wer …«, begann ich. Wer war ich, als ich noch eine Schlafende war? Und was habe ich getan? Warum vor allem?, wollte ich fragen. Doch die Worte wollten mir einfach nicht über die Lippen kommen. »Wer war dieser Kanzler?«, sagte ich stattdessen. Und warum bist du vorhin so blass geworden?
    Der schmächtige Körper neben mir versteifte sich, bevor die Antwort mit etwas Verzögerung auf dem Materienkiesel in meiner Hand erschien. Erst langsam, dann in einem ganzen Schwall von Worten. Der Eiserne Kanzler führt seit Jahrhunderten die Regierungsgeschäfte der Schattenwelt. Seit vielen Generationen dient er dem jeweiligen Fürsten. Man sagt, er sei unsterblich. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Aber er ist ein mächtiger Mann. Vor allem deshalb, weil er irgendwann angefangen hat, Schlafende, die ihm besonders geeignet erscheinen, zu Schattenreitern zu machen, indem er sie irgendwo in den Horsten hinter dem Schlotbaron ausbildet und wer weiß was mit ihnen anstellt. So hat er sich innerhalb etlicher Jahre eine Armee herangezüchtet, die nur ihm gehorcht. Ahnungslose Schlafende, deren Seelen auch in der realen Welt unter seinem Befehl stehen. Wenn du mich fragst, ist er längst der wahre Herrscher Eisenheims, und es wundert mich, dass er den Fürsten immer noch neben sich duldet.
    »Er sieht so jung aus. Ich meine, Jahrhunderte? Wie kann das sein?«
    Die Sache ist die: Wenn

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