Stadt der blauen Paläste
deutlicher. »Nein, ich möchte gewiss nicht zu Mona Livortasso«, sagte sie dann mit einem deutlichen Akzent, und Crestina erkannte, dass es sich um jemand handeln musste, der nicht aus Venedig stammte, mit Wahrscheinlichkeit nicht einmal aus diesem Land. Sie versuchte in ihrem Gedächtnis eine Spur zu finden, irgendwo flammte eine Erinnerung auf, verlosch aber sogleich wieder.
»Risi e bisi und die Pegnitz im Rücken«, sagte die Fremde jetzt in gestelztem Ton und begann laut zu lachen, »erinnerst du dich nicht mehr?«
»Margarete?«, fragte Crestina verblüfft, »du kannst nur Margarete aus Nürnberg sein!« Dann riss sie die Fremde in die Arme, umarmte sie, als wolle sie sie nie mehr loslassen.
»Du verdrückst meine kostbare Kopfbedeckung«, wehrte sich Margarete lachend. »Ich habe sie erst vor einer halben Stunde gekauft. Für dich. Damit du dich auch wirklich wunderst.«
»Bestimmt bei Zentano?«, fragte Crestina amüsiert. »In der Nähe der Rialto-Brücke?«
Margarete lachte.
»Genau dort. Und jetzt würde ich eigentlich gerne hereinkommen dürfen.«
Crestina schob Margarete in den Raum, räumte hastig einen ihrer Stühle leer, die mit Büchern bedeckt waren.
»Wie lange bist du schon hier?«
»Acht Tage«, sagte Margarete und legte den kostbaren Kopfputz behutsam auf den Tisch.
»Und weshalb hast du mich nicht eher besucht?«
»Weil ich Mühe hatte, dich zu finden«, antwortete Margarete. »Im Palazzo öffnete niemand, außer den Tauben auf dem Dach war nichts Lebendiges zu entdecken. Irgendwelche Nachbarn behaupteten, der Palazzo gehöre dir schon lange nicht mehr, du seist bereits vor Jahren ausgezogen und nicht mehr in der Stadt. Andere sagten, du seist auf Torcello, auf Murano, irgendwo an der Brenta in einer Villa. Aber keiner wusste Genaues. Die Letzten, die ich fragte, sagten, du wohnst auf der Giudecca bei einer Fischersfrau, seist mit einem Fischer verheiratet, und als ich die Fischerhütte nach langem Suchen endlich fand, hieß es, du seist vielleicht noch in Cannaregio, aber keinesfalls mit einem Fischer verheiratet. Und du seist vermutlich hier oben …«, Margarete stippte sich an die Stirn, »… leicht gestört, weil du dich durch die ganze Stadt hindurchgewohnt hättest.«
»Das stimmt in etwa alles«, sagte Crestina seufzend. »Bis auf die Villa an der Brenta. Das war die limonaia . Und Gott sei Dank ist hier oben …«, sie stippte sich ebenfalls an die Stirn, »… noch alles in Ordnung.«
»Und womit hast du deine Tage verbracht?« Margarete zog ihre Handschuhe aus und zählte an den Fingern. »Die ungefähr zweitausend Tage, in diesen fünf Jahren, die wir uns nicht gesehen haben?«
»Möchtest du einen Grappa?«, fragte Crestina und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
»Wenn wir beide einen nötig haben, weshalb nicht? Auch wenn ich am frühen Morgen sonst nichts trinke, da brauche ich einen klaren Kopf.«
Crestina nahm zwei Becher aus dem Regal, füllte sie, schob einen davon zu Margarete.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte sie dann, »dafür brauche ich Stunden. Vielleicht erzählst du zunächst einmal, wie es dir ergangen ist. Willst du unser Land kennen lernen, bist du mit einer Lehrerin hier, mit deiner Familie?«
Margarete lachte laut.
»Nein, weder Lehrerin noch Familie und schon gar nicht als Reisende. Ich bin Geschäftsfrau.«
»Geschäftsfrau?« Crestina verschluckte sich fast an ihrem Grappa. »Wieso das?«
»Nun«, Margarete gab der gebogenen Feder ihrer Kopfbedeckung eine andere Richtung und blickte Crestina an.
»Wie du weißt, waren wir doch immer eine Familie, die Geschäfte macht, oder hast du das etwa vergessen? Mein Vater machte Geschäfte, meine Mutter machte Geschäfte, Schreck machte Geschäfte, mein Bruder Lukas versuchte es ebenfalls, auch wenn er früher noch nicht so gut darin war. Dir hat das damals ja alles nie so ganz gefallen. Ich vermute, Nürnberg war für dich und deinen Bruder Riccardo ein Ort des Schreckens. Nichts mit Geist in unserer Familie, keine klugen Bücher, niemand konnte Latein oder Griechisch.«
»Und Lukas?«, fragte Crestina verlegen, die sich nur ungern an jene verquälten Tage in dieser Familie erinnerte, in die sie damals hätte einheiraten sollen.
»Ja, natürlich Lukas«, sagte Margarete bedeutungsvoll. »Er ist inzwischen in der Familie der größte Geschäftemacher. Er ist Waffenhändler geworden und bei uns zu Hause wird nun bei sämtlichen Mahlzeiten über nichts anderes mehr gesprochen, als über
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