Stadt der blauen Paläste
kenne, weiß ich nur, dass es gegen Blitzschlag, Lanzenstiche und bösen Zauber helfen soll. Aber ich glaube ohnehin nicht an seine Wirkung.«
»Ihr vergesst das Liebesorakel«, spottete sie.
Er lachte. »Jaja, das Liebesorakel. Habt Ihr es schon einmal ausprobiert?«, fragte er dann amüsiert.
»Ich sammle das Kraut für eine Freundin«, erklärte sie, »nicht für mich.«
Er sah sie prüfend an, wandte sich seiner Angel zu, hielt dann inne.
»Wegen mir könnt Ihr gerne weiterhin Eure Meeräschen fangen, falls Ihr das so gewohnt seid«, sagte sie schließlich.
»Ihr wisst davon?«, fragte er misstrauisch. Dann lachte er. »Ihr könnt es ja gerne in la bocca beichten, die cattaveri interessieren sich ganz gewiss dafür.«
»Mag sein«, sagte sie ruhig und wandte sich erneut zum Gehen.
»Habt Ihr ein Boot?«, fragte er plötzlich, mit einer Spur von Neugierde.
»Zum Schwimmen von San Marco bis hierher und wieder zurück ist es wohl zu weit«, sagte sie bissig.
»Ist es intakt?«, wollte er wissen.
Sie blieb verblüfft stehen.
»Mein Boot? Natürlich ist es intakt. Ich pflege nicht mit undichten Booten wegzufahren. Ihr vielleicht?«, fragte sie dann, weil er sich am Ohr kratzte.
»Nein, natürlich nicht. Aber meines leckt wirklich. Ich sitze hier fest und muss warten, bis mich jemand abholt. Vielleicht seid Ihr ja so gnädig und nehmt mich mit?«
»Ist das nicht auch für einen Mann ein wenig zu abenteuerlich, mit einem lecken Boot in die Sümpfe zu fahren und auf Gottes Hilfe zu hoffen, bis irgendwer kommt und einen mitnimmt?«, spottete sie. »Ich liege dort drüben«, erklärte sie dann und deutete über das Wasser hinweg. »Aber ich fahre jetzt gleich zurück. Tut mir Leid für Eure nicht gefangenen Meeräschen.«
Er holte einen zweiten Eimer unter einer Baumruine hervor und hielt ihn ihr schmunzelnd entgegen.
»Ich habe bereits welche gefangen. Wenn Ihr mich nicht verratet, lade ich Euch sogar zu einer Fischmahlzeit ein. Natürlich nur, wenn Ihr Euch nicht scheut, mit einem Dieb eine Mahlzeit gemeinsam zu haben.«
Sie machte das Boot los, ohne ihm zu antworten, blickte sich dann um. »Wo habt Ihr Eures? Wir könnten es hinter uns herziehen?«
Er kratzte sich wieder am Ohr.
»Dazu ist es zu schwer«, sagte er zögernd.
»Was ist es denn für ein Boot?«
Er zögerte.
»Eine vipera «, sagte er dann rasch.
Sie sah ihn misstrauisch an, zuckte dann mit den Schultern. »Es ist Eure Sache«, entschied sie, mit dem Gedanken im Kopf, dass irgendetwas mit diesem Mann nicht seine Richtigkeit hatte. Eine bragozzo hätte sie verstanden, aber eine vipera hätte ihr Boot ohne weiteres geschafft.
Er wollte ihr das Ruder aus der Hand nehmen, sie wehrte brüsk ab.
»Ich kann das schon. Ich mache das schon seit Jahren.«
Einige Minuten später bereute sie es allerdings, als er in das Wasser blickte und dann hochsah.
»Wenn Ihr auf diese Art weiterrudert, werden wir genau an der gleichen Stelle stecken bleiben wie ich zuvor. Und …«, er zögerte, »… nun ja, Euer Ruderschlag ist zu hastig, aber das wisst Ihr vermutlich.«
Crestina atmete tief durch, gab ihm das Ruder in die Hand und drehte sich um, sodass sie ihm den Rücken zuwandte.
»Ich wollte Euch nicht verletzen«, sagte der Mann rasch und umruderte geschickt einen hochgespülten Baumstamm. »Ich bin froh, dass Ihr mich mitnehmt.«
»Dein Ruderschlag ist zu hastig, du musst ruhig durchziehen, nicht so heftig.« Crestina glaubte Riccardos Stimme zu hören, so laut, als stünde er neben ihr. »Lass dir Zeit, niemand hetzt dich.«
Sie schloss die Augen, der Mann betrachtete sie prüfend und spähte dann aufmerksam zu einer kleinen Insel hinüber, auf der ein Junge ihm zuwinkte. Die Insel gehörte zu den Salinen, die sie früher mit Riccardo besucht hatte, wobei sie nicht mehr wusste, ob sie damals im Besitz ihrer Familie gewesen war oder nicht. Es war alles bereits viel zu weit weg, dachte sie bisweilen, manches schien ihr bereits am anderen Ende der Welt zu sein, obwohl es soeben erst geschah. Manchmal tauchten Bilder vor ihr auf, blieben für Sekunden lebendig, formten sich zu Geschichten. Geschichten, die sich aufbauschten, durch ihren Kopf waberten, sich einnisteten, wenn sie ihr gefielen. Die Bilder der Sümpfe zum Beispiel.
Es war Anna, die sie als Kind bereits mit dieser magischen Welt der Sümpfe vertraut gemacht hatte. Sie hatte sie lieben gelernt, und später als junges Mädchen war dieses Gefühl, in einer völlig anderen Welt zu
Weitere Kostenlose Bücher